Kleine Zeitung hat geschrieben:Nachruf Lyriker, Doyen und "manuskripte"-Herausgeber: Alfred Kolleritsch ist tot
Im 90. Lebensjahr verstarb Alfred Kolleritsch. Ohne den Mitbegründer des Forum Stadtpark und den "manuskripte"-Doyen wäre die heimische Literaturszene nicht die selbe.
Als Herausgeber der Literaturzeitschrift "manuskripte" wurde er zum Steigbügelhalter vieler österreichischer Literaten und etablierte sich zugleich selbst als tief schürfender Autor: Alfred Kolleritsch. Nach schweren Gesundheitsproblemen vor einigen Jahren ging es dem Mitbegründer des Grazer Forum Stadtpark zwischendurch wieder besser. Mitte Februar feierte Kolleritsch in kleiner Runde seinen 89. Geburtstag, und da stellte sich auch ein prominenter Gratulant ein. Peter Handke, dem im Dezember in Stockholm der Literaturnobelpreis verliehen worden war, tauchte völlig unangekündigt als Gratulant auf. Nun ist der Steirer in seinem 90. Lebensjahr verstorben. Erst kürzlich veröffentlichte er den Lyrikband „Die Nacht des Sehens."
Eine Geburtstagsüberraschung: Peter Handke besuchte Alfred Kolleritsch und Andreas Unterweger Foto © KK
Geboren wurde Alfred Kolleritsch 1931 im steirischen Brunnsee als Sohn eines Forstverwalters und einer Postangestellten. Nach Graz kam er 1941, wo er zunächst das Gymnasium und anschließend die Universität besuchte, um dort schließlich 1964 über die "Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit in der Philosophie Heideggers" zu promovieren. Es folgten lange Jahre in seinem Brotberuf als Gymnasiallehrer für Philosophie und Deutsch, den er bis 1993 ausübte.
Daneben arbeitete Kolleritsch jedoch stets auch am eigenen Oeuvre, hatte doch die Bibliothek seines Großvaters einst sein Interesse an der Literatur geweckt. Erste Gedichte und Prosaversuche entstanden bereits 1948, die erste öffentliche Lesung fand 1958 in Graz statt. Und bereits 1960 wurde der damals knapp 30-Jährige zum Mitbegründer des im früheren Grazer Stadtpark-Cafe angesiedelten "Forum Stadtpark", dessen Vorsitzender er bis 1995 war. Das Forum war konzipiert als "selbstverwalteter Ort der Begegnung".
Gleichzeitig mit dem Forum startete auch die Literaturzeitschrift "manuskripte", die Kolleritsch ab der zweiten Ausgabe als alleiniger Herausgeber betreute. Nicht nur trug er maßgeblich dazu bei, Graz zu einem Literaturzentrum zu machen. Er diente vielen späteren Autorenstars als Sprungbrett. In der Literaturzeitschrift publizierten zunächst die Autoren der Wiener Gruppe wie H.C. Artmann und Konrad Bayer. Ab der fünften Nummer kamen dann Autoren wie Wolfgang Bauer und Barbara Frischmuth hinzu.
Sein einstiger Schüler, der Musiker Markus Schirmer, zollte dem
Verstorbenen auf Facebook seinen Respekt: "Wie glücklich darf man
sich schätzen, Dich, einen der ganz großen österreichischen Lyriker
seinerzeit am Akademischen Gymnasium Graz als Deutschlehrer erlebt
zu haben." Kolleritsch sei seiner Zeit weit voraus gewesen. Und die
von ihm mitbegründete Literaturzeitschrift "manuskripte"
verabschiedete sich auf Twitter mit einem Gedicht des Verstorbenen:
"Erneut die Überflutung: das Licht zuerst, dann die Nacht, die Liebe
immer, immer der Verlust."
Lauter Entdeckungen
Populär wurde die Zeitschrift nicht zuletzt dank Anzeigen wegen Pornografie, gab es doch Proteste gegen den Abdruck von Oswald Wieners Roman "Die Verbesserung von Mitteleuropa". Aber auch Schriftsteller wie Peter Handke, Elfriede Jelinek, Gerhard Roth oder Josef Winkler stellten ihre Texte in den "manuskripten" vor. Vaclav Havel hatte in dem Format seine erste Veröffentlichung außerhalb der Tschechoslowakei. Und in jüngster Zeit zählen Autoren wie Valerie Fritsch oder Clemens J. Setz zu den Entdeckungen der Publikation.
Der Doyen des heimischen Literaturbetriebs sah die aktuellen Tendenzen im Literaturbetrieb durchaus kritisch: "Leider muss man sagen, das Hauptthema ist immer das persönliche Umfeld. Man ist dann ganz erlöst, wenn einmal eine Prosa kommt, die sich von den Schwierigkeiten beim Aufstehen am Morgen loslöst und weitergeht: fantasievoller und poetischer wird", sagte er in einem seiner letzten Interviews. In jedem Falle blieben die "manuskripte" nicht Kolleritschs einziges Engagement im Literaturbereich, gründete er doch 1973 gemeinsam mit Schriftstellern wie Friederike Mayröcker, Ernst Jandl und Gustav Ernst die Grazer Autorenversammlung.
Sein Auftritt als Autor
Ein Jahr zuvor (1972) war sein erstes Prosawerk "Die Pfirsichtöter" erschienen. In dem Roman wird ein Herrschaftssystem beschrieben, das auf der Macht seiner Zeichen beruht. Seither hat er sich immer wieder in seinen weiteren Werken gegen die Einengung und Erstarrung des Lebens sowie gegen Totalitarismus und Faschismus gewendet. Es folgten u.a. "Die grüne Seite" (1974) - eine drei Generationen umspannende Geschichte der Erziehung der Söhne durch die Väter - und "Allemann" (1989). Letzter wurde zum 85. Geburtstag des Autors im Droschl Verlag mit einem Nachwort von Thomas Stangl neu aufgelegt.
Sein Werkverzeichnis
1972 "Die Pfirsichtöter" (Auch ital. Übersetzung)
1972 "Erinnerter Zorn" (Gedichte)
1974 "Die Grüne Seite" (franz. Übersetzung)
1978 "Einübung in das Vermeidbare" (Gedichte)
1982 "Im Vorfeld der Augen" (Gedichte)
1983 "Absturz ins Glück" (Gedichte)
1985 "Gespräche im Heilbad"
1986 "Augenlust"
1988 "Gedichte", ausgewählt von Peter Handke
1989 "Allemann" (Neuauflage 2016)
1990 "Überschattungen", zusammen mit Hannes Schwarz und Peter
Strasser
1991 "Gegenwege" (Gedichte)
1992 "Hemler, der Vogel" (Eine Geschichte mit Zeichnungen von
Hartmut Urban)
1993 "Zwei Wege mehr nicht" (Gedichte)
1995 "Der letzte Österreicher"
1997 "Die geretteten Köche" (Drama)
1998 "In den Tälern der Welt" (Gedichte)
2001 "Die Summe der Tage" (Gedichte)
2001 "Marginalien und Widersprüche" (Essays)
2001 "Zwei Wege, mehr nicht" (Gedichte)
2003 "Befreiung des Empfindens" (Gedichte)
2003 Hrsg. von "Graz von außen"
2004 "Befreiung des Empfindens" (Gedichte)
2006 "Tröstliche Parallelen" (Gedichte)
2008 "Schönheit ist die erste Bürgerpflicht" (Briefwechsel mit Peter Handke)
2013 "Es gibt den ungeheuren Anderen" (Gedichte)
2020 "Die Nacht des Sehens" (Gedichte)
Würdigung
Der steirische Kulturlandesrat Christopher Drexler (ÖVP) würdigte Kolleritsch am Freitag Abend als "bedeutendsten Wegbereiter für den heimischen Literaturnachwuchs", der wesentlich dazu beitrug, Graz und die Steiermark zu einem literarischen Zentrum zu machen: "Er hinterlässt eine große Lücke in der heimischen Literaturlandschaft. Sein Vermächtnis als großer Literat und Förderer der steirischen Nachwuchsschriftsteller wird das Kulturland Steiermark immer prägen." Mit dem biennal vergebenen "manuskripte"-Preis des Landes wolle man ihm "ein ehrenvolles Andenken bewahren und seine Leistungen sowie sein Vermächtnis auch in Zukunft ehren.“