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Neulich auf der Blutwiese
\"Christ Illusion\", das neue Album der US-Metal-Band Slayer, untermauert den Status der Metalmusik als drastischste wie auch wesentlichste Form der Gegenwartskunst
Wien – Wenn es denn heute noch eine Kunstform geben sollte, die sich dem \"Fortschritt\" mit größtmöglichem Groll verweigert und geradezu teuflisch darum bemüht ist, Konventionen mit dem Vorschlaghammer des Tabubruchs zu sprengen, dann ist es zweifellos Heavy Metal in seiner extremsten Spielart. Zwar wurde und wird dieses Genre im Mainstream nach wie vor weit gehend negiert oder jovial-onkelhaft als Laune pubertärer weißer (männlicher) Zielgruppen negiert.
Von den späten 60er-Jahren mit Gründervätern wie Black Sabbath herauf über in dieser ganzen Genre-immanenten Unwirtlichkeit heutzutage geradezu gemütlich wirkende Fixsterne wie Iron Maiden oder Judas Priest in den 70ern, die neue entschlackte und prosaischere Schule mit Metallica in den 80er-Jahren und eine bald folgende Auffächerung hin zur reinen, aber mit Schmutz und Schund und jugendlicher Lust an Provokation heute unüberschaubaren Szeneninflation zwischen Speed, Thrash, True, Death oder Black Metal: Es würde sich hier ein weites, auch kulturwissenschaftlich erschließenswertes Feld ergeben. Bloßer Satanismus, kindische Zerstörungswut, der Gedanke des Höher-Schneller-Weiter-Härter oder die politisch bedenkliche Pathetik \"rechter\" Spielarten: Alles ist möglich. Was Heavy Metal ästhetisch-programmatisch eigentlich sagen will, erschließt sich laut dem deutschen Metal-Experten und -Gläubigen Dietmar Dath nicht nur über die Lust am Abgrund und dadurch, dass hier letzte grausame Dinge für entsetzte Erziehungsberechtigte im Zeichen des Guten, Wahren und Schönenrecht drastisch und geschmacklos verhandelt werden. Hier geht es laut seiner 2005 bei Suhrkamp veröffentlichten literarischen Studie \"Die salzweißen Augen. Vierzehn Briefe über Drastik und Deutlichkeit\" um eine in der Pubertät prägende \"Art, die Welt zu sehen, wie Glaube oder krankhafte Eifersucht\".
Metal kennt demnach \"keine Zeitgemäßheit, Wiederkehr oder Entwicklung\". Es geht hier vielmehr um rigide Ansprüche bezüglich gegen das Allgemeinverständnis wie auch die guten Sitten und Sinn und Form wütender und rasender Musiken.
Zu den seit spätestens 1982 wesentlichsten Stimmen dieses die Verhältnisse drastisch zuspitzenden Kunst- und Lebensstils zählt zweifellos die kalifornische Band Slayer. Die erreichte ihren eigentlichen und geradezu prototypisch auf das ganze Genre abstrahlenden Höhepunkt schon früh.
1986 auf dem Album \"Reign In Blood\" war nicht nur mit wahnwitzig schnellen, bis heute härte- und geschwindigkeitsmäßig nicht mehr überbotenen Konstrukten im wesentlichen Kernbereich Gitarre, Bass, Schlagzeug und Gebrüll alles erreicht, was man in diesen jüngst laut der \"Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung\" brutal laut, hart und \"rückwärts gespielten Goldberg-Variationen\" eines Johann Sebastian Bach überhaupt sagen konnte. Zu den für Außenstehende nach Drillbohrer und Sperrfeuer klingenden, gängige Übereinkünfte wie Melodik oder Harmonie weit gehend verweigernden Machbarkeitsstudien auf den Instrumenten gesellten sich bei Tom Araya, Jeff Han_neman, Kerry King und Dave Lombardo auch noch Texte, mit denen abseits der berüchtigten US-Elternverbände auch weit tolerantere Hörer ordentlich vergrault werden konnten.
Das Böse, transportiert über Hass-, Mord- und Folterfantasien, Terror, Tod und Krieg. \"Angel Of Death\" ein Song über Josef Mengele, bei dem selbst tolerante Hörer noch immer schlucken müssen. Und immer wieder auch: ein rasender Furor gegen das Christentum.
Wir sehen, die letzten Jahre, herauf bis zu ihrem ausgerechnet am 9. September 2001 veröffentlichten Album \"God Hates Us All\", hatten sich Slayer selbst die geschmacklosen Vorgaben so tief gelegt, dass man diese Kunst des Suchens nach Zwist und Hader kaum noch unterbieten konnte. Immerhin aber dürfte ihnen jetzt mit dem neuen, an alte Glanzzeiten anschließenden Album \"Christ Illusion\" und Amokfahrten wie \"Black Serenade\" etwas geglückt sein, wovon Kirchenfürsten bezüglich der Rechristianisierung agnostischer Jugendstämme nur träumen können. Mit ihrer hasserfüllten Negation von Gott und der Welt untermauern sie letztlich bestehende Verhältnisse. Immerhin wird hier ja behauptet, dass der \"Feind\" existiert. Das dürfte jedem Missionar Kraft geben.
Nach den gut 40 Minuten von \"Christ Illusion\" fühlt man sich ermattet und rituell gereinigt zugleich. Der Hörer ist durch jenes mit Knüppelbeats (Dave Lombardo!) und irrlichternden Fliegeralarm-Gitarren befeuerte Purgatorium gegangen, das zuvor von Slayer im Terrorismus-Brevier Jihad von anderen Gottessöhnen entfacht wurde.
Wer heutige Zeitbefindlichkeiten wie den Horror und Terror künstlerisch verdichtet, aber nicht ganz dicht erleben will, wird an Slayer nicht vorbeikommen. (Christian Schachinger/DER STANDARD, Printausgabe, 9.8.2006)
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Slayer - Christ Illusion
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