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- Nukkumatti
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btw: weils inhaltlich dazu passt:
Anna Politkovskaja - Russisches Tagebuch
dabei geht sie ebenfalls auf die probleme des tschetschenienkrieges ein, sowie auf die probleme im russischen heer. außerdem kommt auch noch die stimmung in der bevölkerung zum vorschein sowie eine analyse des politischen und medienklimas.
ein sehr umfangreiches buch. dafür ist sie wohl auch gestorben :-(
RIP
Anna Politkovskaja - Russisches Tagebuch
dabei geht sie ebenfalls auf die probleme des tschetschenienkrieges ein, sowie auf die probleme im russischen heer. außerdem kommt auch noch die stimmung in der bevölkerung zum vorschein sowie eine analyse des politischen und medienklimas.
ein sehr umfangreiches buch. dafür ist sie wohl auch gestorben :-(
RIP
- Erik Blutaxt
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so, heute ist langerwartet endlich die deutsche Ausgabe vom letzten Richard Dawkins Buch erschienen, beim Thalia haben sie mir ja nur sagen können, das Buch käme im September irgendwann.
Der Gotteswahn von Richard Dawkins
sehr erfreulich, mein Tipp, gleich ältere Bücher von Dawkins mitkaufen und lesen.
http://www.orf.at/070910-16435/index.html
Der Gotteswahn von Richard Dawkins
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- Aamon
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Simon Sebag Montefiore - Stalin: Am Hof des roten Zaren
[imgoq4]http://ec1.images-amazon.com/images/I/5 ... AA240_.jpg[/imgoq4]
Sehr empfehlenswert. Bin zur Zeit bei der Hälfte vom Buch (kurz nach dem Überfall auf die Sowjetunion) und kann das Buch echt nur jedem ans Herz legen, den die Thematik auch nur ein bißchen interessiert. Spannend erzählt und mit einigem historischen Aufwand alles recherchiert und trotzdem einfach zum Lesen.
Leider kostet es jetzt anscheinend fast 25€ ich habs aber Anfang des Jahres um die Hälfte bekommen, müßte man halt suchen.
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Leider kostet es jetzt anscheinend fast 25€ ich habs aber Anfang des Jahres um die Hälfte bekommen, müßte man halt suchen.
- mauergecko
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Bernd Greiner: Krieg ohne Fronten
Die USA in Vietnam; Hamburger Edition, 2007; 595 S., 35,- €
http://www.zeit.de/2007/40/P-Vietnam?page=all
Der amerikanische Albtraum
Von Volker Ullrich
Ein erschütterndes, ein aufrüttelndes Buch: Gründlicher als jeder andere Historiker hat Bernd Greiner die Kriegsverbrechen der USA in Vietnam erforscht.
Dieses Buch ist ein Schock. Es erzählt von einer blutigen Tragödie, deren Dimensionen wir bislang nur erahnen konnten: Amerikas Krieg in Vietnam.
Der Autor, Bernd Greiner, ist Professor für Neuere Geschichte und Mitarbeiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung – jener von Jan Philipp Reemtsma gegründeten Forschungsstätte, die mit ihren beiden Ausstellungen zu den Verbrechen der Hitler-Armeen im Zweiten Weltkrieg dafür gesorgt hat, dass der Legende von der »sauberen Wehrmacht« endgültig der Boden entzogen wurde. Der Vietnamkrieg war kein Vernichtungskrieg; er war nicht auf Völkermord angelegt. Und doch wird Bernd Greiners Buch unseren Blick auf diesen Krieg verändern. Denn noch nie zuvor ist so eindringlich und materialreich geschildert worden, wie ein militärischer Konflikt, der mit dem Vorsatz begann, einen »Eckpfeiler der freien Welt« in Südostasien zu verteidigen, zu einem Gewaltexzess eskalierte, der alle westlichen Werte und Errungenschaften infrage stellte.
»There was more of it in Vietnam« (»In Vietnam hat es von allem etwas mehr gegeben«) – dieses geflügelte Wort unter amerikanischen Soldaten macht Greiner zum Leitmotiv seiner Darstellung. Tatsächlich war der Vietnamkrieg nicht nur der längste heiße Krieg im Kalten Krieg. Nirgendwo sonst wurden so viele Zerstörungsmittel eingesetzt. Über Vietnam und den angrenzenden Gebieten von Laos und Kambodscha warfen US-Kampfflugzeuge mehr Bomben ab als auf allen Schauplätzen des Zweiten Weltkriegs zusammen. Millionen Hektar Land wurden durch Herbizide vergiftet, riesige Waldgebiete durch das Entlaubungsmittel Agent Orange vernichtet, Tausende von Dörfern dem Erdboden gleichgemacht. Der Anteil der Zivilisten unter den Kriegsopfern war extrem hoch – er lag bei über 40 Prozent. Hunderttausende Vietnamesen wurden überdies zwangsumgesiedelt und mussten jahrelang in Lagern vegetieren.
Die Geschichtsschreibung hat sich vor allem mit den politisch-militärischen Entscheidungsprozessen und den globalstrategischen Aspekten des Krieges beschäftigt. Oder sie ist, dem cultural turn der internationalen Geschichtswissenschaft folgend, den Erinnerungen an den Krieg, den Traumata der Veteranen und den Darstellungen in Medien, Literatur und Film nachgegangen. »Gemeinhin«, kritisiert Greiner, »wird über den Krieg geschrieben, ohne dass der Krieg als solcher beschrieben wird.«
Das Massaker von My Lai war, wie nun deutlich wird, kein Einzelfall
Freilich schildert der Autor nicht alle Seiten des Krieges, nicht die verheerende Wirkung der B52-Bombardements, auch nicht den rücksichtslosen Einsatz chemischer Kampfstoffe. Im Mittelpunkt seines Buches stehen die von amerikanischen Bodentruppen verübten Gräuel und Kriegsverbrechen. Der Name eines vietnamesischen Dorfes, My Lai, in dem eine US-Einheit am 16. März 1968 fast die gesamte Bevölkerung, über 400 Männer, Frauen und Kinder, ermordete, ist zum Symbol geworden. Doch My Lai war, wie wir nun erfahren, kein Einzelfall; es gab viele kleine und größere Massaker.
Bernd Greiner hatte die Möglichkeit, in den National Archives, College Park (Maryland) zwei Quellenbestände einzusehen, die unter dem Eindruck der Enthüllungen über My Lai seit Ende 1969 angelegt und die von den Historikern bis heute kaum genutzt wurden, obwohl sie eine wahre Fundgrube für das Verständnis der amerikanischen Kriegführung in Vietnam darstellen. Zum einen handelt es sich um das Archiv der Vietnam War Crimes Working Group – einer von der Armeeführung eingesetzten Arbeitsgruppe, die zwischen 1970 und 1974 alles einschlägige Material über amerikanische Kriegsverbrechen zusammentrug – außer My Lai sind 246 weitere Fälle dokumentiert. Ein Teil der Akten, die Greiner noch vollständig auswerten konnte, ist seit 2004, dem zweiten Jahr des Irakkrieges, wieder gesperrt.
Zum anderen stützt sich dieses Buch auf die Unterlagen der Peers-Kommission, eines Untersuchungsausschusses der Armee, der unter der Leitung des Generals William R. Peers umfangreiche Dossiers über die Gewaltexzesse in Vietnam, die beteiligten Einheiten und ihre Kommandeure erstellte. Der vierbändige Abschlussbericht wurde 1979 in gekürzter Version ediert; auch den weit über hundert Archivboxen umfassenden Gesamtbestand der Peers-Kommission hat der Hamburger Historiker als Erster systematisch ausgewertet.
»Wer tot ist und ein Vietnamese, ist ein Vietcong«
So aufschlussreich dieses Material auch ist, es zeigt nur einen Teil der Wirklichkeit. Denn sowohl die Vietnam War Crimes Working Group als auch die Peers-Kommission beschränkten sich auf Fälle, welche die zuständigen Stellen der Armee zur Überprüfung angenommen hatten. Taten, die nicht gemeldet oder deren Spuren verwischt worden waren, tauchen in den Akten nicht auf. Nach Greiners Erkenntnissen kann man von einer erheblichen Dunkelziffer ausgehen. Eine ganz genaue Antwort auf die Frage nach dem Umfang der in Vietnam verübten Verbrechen, der Zahl der Opfer und der der Täter ist daher nicht möglich, und der Autor neigt, was die Schätzungen betrifft, eher zur Unter- als zur Übertreibung.
Dennoch – was die Quellen preisgeben, ist schon erschreckend genug. Zu besichtigen ist ein Schlachtfeld, auf dem die Regeln des internationalen Kriegsrechts außer Kraft gesetzt und Folter, Mord und Massaker an der Tagesordnung waren.
Woher rührte die Bereitschaft zu solch exzessiver Gewalt? Bernd Greiner greift zur Erklärung auf das Modell des »asymmetrischen Krieges« zurück. Gemeint ist damit die Konfrontation einer hochgerüsteten, starken Militärmacht mit einem vermeintlich schwachen Gegner. Im Vietnamkrieg hätte die Überlegenheit der Amerikaner kaum größer sein können. Sie beherrschten den Luftraum, vor den Küsten ankerten US-Flugzeugträger, ihre Armeen waren voll motorisiert, während der Vietcong das Kriegsgerät oft nur mit Hilfe von Fahrrädern über den Ho-Chi-Minh-Pfad zum Ziel bringen konnte. Gewinnen konnte die Guerilla den Kampf nur, wenn sie sich nicht auf die Kriegführung einließ, die der Gegner erwartete, sondern auf den Faktor Zeit setzte und dabei ihre wichtigste Ressource nutzte: die Unterstützung durch die Bevölkerung. Das hieß, eine offene Feldschlacht zu vermeiden und den Feind unaufhörlich aus dem Hinterhalt zu attackieren – in einem Krieg, der keine Fronten kannte. Für die US-Truppen verschlechterten sich die Aussichten in dem Maße, wie sich der Krieg hinzog und die Unterstützung durch die »Heimatfront« nachließ. Unter diesen Bedingungen wuchs die Bereitschaft, immer radikalere Mittel einzusetzen, um eine rasche Entscheidung zu erzwingen.
Allerdings hält der Autor die Dynamik der Gewalteskalation keineswegs für unausweichlich. Im Gegenteil: Er leuchtet sorgfältig die Handlungs- und Entscheidungsspielräume aus, die es auf allen Ebenen des politischen und militärischen Prozesses gegeben hat. Seine Arbeit gliedert sich demgemäß in zwei große Teile: Im ersten untersucht er die Rolle der Akteure – von den Kriegsherren im Weißen Haus und den Generalen im Pentagon über die Offiziere, die am Ort des Geschehens die Befehlsgewalt ausübten, bis hin zu den »Frontschweinen«, den grunts, die zu den Kampfeinsätzen herangezogen wurden. Im zweiten Teil verfolgt er in drei Fallstudien die Blutspur, die US-Einheiten bei ihren »Pazifizierungsaktionen« zogen.
Bernd Greiner unterstreicht, dass von einem »Hineinschlittern« Amerikas in den Krieg nicht die Rede sein kann. An Warnungen hatte es nicht gefehlt. Doch fixiert auf die »Dominotheorie«, also die Zwangsvorstellung, dass bei einem Verlust Vietnams ganz Südostasien dem Kommunismus anheimfallen würde, glaubten die US-Präsidenten von John F. Kennedy über Lyndon B. Johnson bis Richard Nixon, in jedem Falle Stärke beweisen und »die Sache durchstehen« zu müssen, wie die stereotype Formel lautete. Für sie ging es um die Glaubwürdigkeit der amerikanischen Weltmacht. Die symbolische Überhöhung des Konflikts machte die amerikanische Politik unfähig zur Selbstkorrektur. Noch Nixon koppelte das Konzept der »Vietnamisierung« des Kriegs mit einer massiven Ausweitung der Bombardements auf Kambodscha und Nordvietnam. Bezeichnend, was der mächtigste Mann der Welt im kleinen Kreis so alles von sich gab: »Also, also, also, fickt die Wichser.« – »Wir werden ihnen verdammt noch mal alles um die Ohren pusten.« – »Wir werden dieses gottverdammte Land dem Erdboden gleichmachen.«
Diesem Denken entsprach eine Militärstrategie, die Greiner mit dem Begriff der »Tonnenideologie« kennzeichnet. Das heißt, durch eine ständige Erhöhung des Zerstörungspotenzials sollte der Gegner mürbe gemacht und zur Aufgabe gezwungen werden. Eine Alternative dazu wäre gewesen, durch einen Katalog von civic action-Maßnahmen – Wirtschaftshilfe, Ausbau der Infrastruktur, Bodenreform – die Bevölkerung zu gewinnen, den Bauern eine Perspektive zu bieten und die Guerilla zu isolieren. Doch eine solche Strategie hätte viel Zeit und Geduld erfordert und kam daher für die amerikanische Militärführung von vornherein nicht infrage.
Stattdessen verlegte sie sich auf die search and destroy-Taktik: Ein und dasselbe Territorium wurde immer wieder »durchgekämmt« und danach geräumt – in der Hoffnung, dass der Gegner jedes Mal mit frischen Kräften nachrücken würde und man ihn auf diese Weise zum »Ausbluten« bringen könnte. In der Logik dieses Abnutzungskalküls lag, dass die Zahl der getöteten Gegner – der body count – zum wichtigsten Kriterium des militärischen Erfolgs gemacht wurde. Das bedeutete, dass auf jeden Truppenführer, auf jede kämpfende Einheit ein starker Druck ausgeübt wurde, die »Tötungsquote« zu erhöhen.
Bernd Greiner beschreibt kühl und präzise die katastrophalen Konsequenzen: In den zu free fire zones erklärten Gebieten war der Unterschied zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten aufgehoben; es wurde auf alles geschossen, was sich bewegte. »Wer tot ist und ein Vietnamese, ist ein Vietcong«, lautete die Faustregel. Das wahllose »Zielschießen« auf Zivilisten war gängige Praxis. Besonders Hubschrauberpiloten taten sich bei solchen joy rides, wie sie genannt wurden, hervor. Und ebenso gehörte das Foltern von Gefangenen zur Alltagsroutine. Beliebt war unter anderem die airborne interrogation; Verdächtige wurden zum Reden gebracht, indem man aus ihrer Mitte einen herausgriff und aus dem Hubschrauber warf. »Es ist doch egal, was du mit denen machst… Keiner hier sieht die Vietnamesen als Menschen«, diese Äußerung eines GIs spiegelt eine weitverbreitete Einstellung.
Die US-Streitkräfte bewegten sich faktisch in rechtsfreien Räumen
Dabei verlangten die rules of engagement, die offiziellen Richtlinien für Kampfeinsätze, eine Rücksichtnahme auf die an den Kämpfen nicht beteiligte Zivilbevölkerung, doch Greiner macht deutlich, dass die meisten der jungen, frontunerfahrenen Offiziere weder willens noch fähig waren, diesen – sehr dehnbaren – Bestimmungen Genüge zu tun. In den free fire zones bewegten sich die US-Streitkräfte faktisch in rechtsfreien Räumen, und Soldaten, die daraus eine Lizenz zum Töten ableiteten, konnten sich in vielen Fällen der stillschweigenden Duldung, wenn nicht gar der ausdrücklichen Zustimmung ihrer Vorgesetzten sicher sein.
Die gesamte Strategie in Vietnam lief also auf eine Entgrenzung der Gewalt und eine Brutalisierung der Kriegführung hinaus. Zugleich beobachtet Bernd Greiner jedoch bei der kämpfenden Truppe eine Tendenz zur Selbstradikalisierung. Normale junge Männer, zumeist aus den unteren Schichten der Gesellschaft, verwandelten sich innerhalb weniger Wochen in wütende Krieger, die keine Hemmungen hatten, zu morden und zu vergewaltigen. Der Autor führt dies zum einen auf das Hasstraining zurück, dem die GIs unterzogen wurden, zum anderen auf die spezifische Kampfsituation, der sie im Dschungel von Vietnam ausgesetzt waren. Die Front war hier überall und nirgends, der Feind unsichtbar und doch allgegenwärtig. Jederzeit drohte der Tod durch Minen, Sprengfallen oder Heckenschützen. Angst mischte sich mit Wut, Hass mit Selbsthass, und daraus erwuchs – so Greiner – »die Selbstermächtigung zur exzessiven Gewalt«.
Was das in der Praxis bedeutete, wird in drei Nahaufnahmen veranschaulicht. Wer diese Kapitel liest, braucht starke Nerven, denn sie zeigen eine entfesselte Soldateska. Zuerst wird das Wüten der Task Force Oregon, eines aus drei Brigaden bestehenden Kampfverbands, in der Provinz Quang Nai zwischen Frühjahr und Herbst 1967 beschrieben. Am Ende lagen 70 Prozent aller Siedlungen in der Provinz in Trümmern, einige Gebiete waren vollkommen pulverisiert, 40 Prozent der Einwohner zeitweilig oder dauerhaft auf der Flucht, unzählige Tote unter der Zivilbevölkerung zu beklagen. Durch besondere Brutalität zeichnete sich eine Sondereinheit namens Tiger Force aus. (Über diese Todesschwadron haben die amerikanischen Journalisten Michael Sallah und Mitch Weiss bereits 2006 eine Monografie veröffentlicht.) Sie mordete nicht nur alles, was ihr über den Weg lief, sondern ging so weit, Ermordete zu verstümmeln und Leichenteile zur Schau zu tragen.
Die zweite Fallstudie geht der Anfang Februar 1968 unter dem Eindruck der Tet-Offensive gebildeten Task Force Baker nach. Im Zentrum steht die minutiöse Rekonstruktion der Ereignisse von My Lai. Es ist nicht die erste Darstellung dieses Massakers, aber doch die erschütterndste. Die Sturmgewehre vom Typ M-16 auf Automatikfeuer gestellt, verwandelten die einrückenden amerikanischen Soldaten das Dorf innerhalb weniger Minuten in ein Schlachthaus. »Frauen mit Kleinkindern auf dem Arm wurden ebenso niedergemacht wie Gruppen von Erwachsenen, die auf den Knien um Gnade flehten, oder Greise, die man allein in ihren Unterkünften angetroffen hatte.« Dabei handelte es sich nicht um einen Exzess im Blutrausch, sondern um kühl kalkulierten Mord – um »Tötungsarbeit«. »Wenn wir die Mütter töten, die Frauen, werden sie keine Vietcong mehr produzieren. Und wenn wir die Kinder töten, werden sie nicht zu Vietcong heranwachsen. Und wenn wir alle töten, wird es am Ende keine Vietcong mehr geben« – so sagte einer der Beteiligten aus.
Es gab auch Soldaten, die sich dem Morden verweigerten
Das dritte Beispiel beschäftigt sich mit den von Truppen der 9. Infantry Division zwischen November 1968 und April 1969 im Mekongdelta durchgeführten Operation Speedy Express – eine der blutigsten »Pazifizierungskampagnen« des gesamten Krieges, deren Planung und Durchführung Greiner erstmals untersucht. Am Ende wurden knapp 11000 Tote gezählt, aber nur 748 erbeutete Waffen – ein sicheres Indiz dafür, wie hoch der Anteil der zivilen Opfer war.
Das abschließende Kapitel Richter handelt von einem einzigartigen Skandal: der ausgebliebenen juristischen Ahndung der Kriegsverbrechen. Nur ein Bruchteil der Täter musste sich überhaupt vor Militärstrafgerichten verantworten, die meisten Verfahren scheiterten bereits im Vorwege, indem die Strafverfolger der Armee im Verein mit Bürokraten und Politikern die Ermittlungen sabotierten. Die wenigen Verurteilten kamen mit lächerlich geringen Strafen davon. Leutnant William Calley, einer der Hauptverantwortlichen für das Massaker von My Lai, war nach 44 Monaten Hausarrest wieder auf freiem Fuß. Der Autor spricht von »einer Erosion der militärischen Rechtskultur auf legalem Wege«.
Bernd Greiner hat ein wichtiges, ein herausragendes Buch geschrieben. Es besticht durch umfassende Quellen- und Literaturkenntnisse, durch scharfsinnige Analysen und ein Höchstmaß an Sachlichkeit und Differenzierung. So macht Greiner immer wieder auf das Beispiel amerikanischer Soldaten aufmerksam, die sich ein Gefühl für Menschlichkeit bewahrt hatten und sich dem Morden verweigerten. Besonders eindrucksvoll erscheint das Verhalten des Hubschrauberpiloten Hugh Thompson, der in My Lai einige Vietnamesen vor dem sicheren Tode retten konnte, wobei die Bordschützen seines Helikopters ihre mordbereiten Kameraden in Schach hielten. Die scharfe Verurteilung der amerikanischen Kriegsstrategie verführt den Autor überdies nicht dazu, die Gegenseite zu idealisieren. Vielmehr weist er darauf hin, dass auch der Vietcong und die nordvietnamesischen Soldaten vor terroristischen Maßnahmen gegen die Zivilbevölkerung nicht zurückschreckten. Eines der schlimmsten Massaker verübten sie, als sie im Februar 1968 die Kaiserstadt Hue besetzt hielten.
Man darf gespannt sein, wie das Werk aufgenommen wird. Mit seinen Recherchen steht der Autor in der aufklärerischen Tradition kritischer amerikanischer Journalisten und Publizisten wie Seymour M. Hersh, der mit seinem ersten Aufsatz über My Lai vom November 1969 den Stein ins Rollen brachte, oder Daniel Ellsberg, der im Sommer 1971 die »Pentagon Papers« der New York Times zuspielte. Zugleich kann das Buch gelesen werden als eine glänzende Rechtfertigung der Antikriegsbewegung in den USA (und anderen westlichen Ländern), die mit ihren Protesten dazu beitrug, dem mörderischen Unternehmen ein Ende zu setzen.
Vierzig Jahre hat es gedauert, bis nun, auch dank der akribischen Forschungen Bernd Greiners, das ganze Ausmaß der amerikanischen Kriegsverbrechen in Vietnam ans Licht kommt. Wie lange wird es dauern, bis wir erfahren, was heute im Irak geschieht?
Ich denke das Buch ist sicherlich empfehlenswert für Leute die sich mit dem Thema Kriegsverbrechen auseinandersetzen.
Die USA in Vietnam; Hamburger Edition, 2007; 595 S., 35,- €
http://www.zeit.de/2007/40/P-Vietnam?page=all
Der amerikanische Albtraum
Von Volker Ullrich
Ein erschütterndes, ein aufrüttelndes Buch: Gründlicher als jeder andere Historiker hat Bernd Greiner die Kriegsverbrechen der USA in Vietnam erforscht.
Dieses Buch ist ein Schock. Es erzählt von einer blutigen Tragödie, deren Dimensionen wir bislang nur erahnen konnten: Amerikas Krieg in Vietnam.
Der Autor, Bernd Greiner, ist Professor für Neuere Geschichte und Mitarbeiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung – jener von Jan Philipp Reemtsma gegründeten Forschungsstätte, die mit ihren beiden Ausstellungen zu den Verbrechen der Hitler-Armeen im Zweiten Weltkrieg dafür gesorgt hat, dass der Legende von der »sauberen Wehrmacht« endgültig der Boden entzogen wurde. Der Vietnamkrieg war kein Vernichtungskrieg; er war nicht auf Völkermord angelegt. Und doch wird Bernd Greiners Buch unseren Blick auf diesen Krieg verändern. Denn noch nie zuvor ist so eindringlich und materialreich geschildert worden, wie ein militärischer Konflikt, der mit dem Vorsatz begann, einen »Eckpfeiler der freien Welt« in Südostasien zu verteidigen, zu einem Gewaltexzess eskalierte, der alle westlichen Werte und Errungenschaften infrage stellte.
»There was more of it in Vietnam« (»In Vietnam hat es von allem etwas mehr gegeben«) – dieses geflügelte Wort unter amerikanischen Soldaten macht Greiner zum Leitmotiv seiner Darstellung. Tatsächlich war der Vietnamkrieg nicht nur der längste heiße Krieg im Kalten Krieg. Nirgendwo sonst wurden so viele Zerstörungsmittel eingesetzt. Über Vietnam und den angrenzenden Gebieten von Laos und Kambodscha warfen US-Kampfflugzeuge mehr Bomben ab als auf allen Schauplätzen des Zweiten Weltkriegs zusammen. Millionen Hektar Land wurden durch Herbizide vergiftet, riesige Waldgebiete durch das Entlaubungsmittel Agent Orange vernichtet, Tausende von Dörfern dem Erdboden gleichgemacht. Der Anteil der Zivilisten unter den Kriegsopfern war extrem hoch – er lag bei über 40 Prozent. Hunderttausende Vietnamesen wurden überdies zwangsumgesiedelt und mussten jahrelang in Lagern vegetieren.
Die Geschichtsschreibung hat sich vor allem mit den politisch-militärischen Entscheidungsprozessen und den globalstrategischen Aspekten des Krieges beschäftigt. Oder sie ist, dem cultural turn der internationalen Geschichtswissenschaft folgend, den Erinnerungen an den Krieg, den Traumata der Veteranen und den Darstellungen in Medien, Literatur und Film nachgegangen. »Gemeinhin«, kritisiert Greiner, »wird über den Krieg geschrieben, ohne dass der Krieg als solcher beschrieben wird.«
Das Massaker von My Lai war, wie nun deutlich wird, kein Einzelfall
Freilich schildert der Autor nicht alle Seiten des Krieges, nicht die verheerende Wirkung der B52-Bombardements, auch nicht den rücksichtslosen Einsatz chemischer Kampfstoffe. Im Mittelpunkt seines Buches stehen die von amerikanischen Bodentruppen verübten Gräuel und Kriegsverbrechen. Der Name eines vietnamesischen Dorfes, My Lai, in dem eine US-Einheit am 16. März 1968 fast die gesamte Bevölkerung, über 400 Männer, Frauen und Kinder, ermordete, ist zum Symbol geworden. Doch My Lai war, wie wir nun erfahren, kein Einzelfall; es gab viele kleine und größere Massaker.
Bernd Greiner hatte die Möglichkeit, in den National Archives, College Park (Maryland) zwei Quellenbestände einzusehen, die unter dem Eindruck der Enthüllungen über My Lai seit Ende 1969 angelegt und die von den Historikern bis heute kaum genutzt wurden, obwohl sie eine wahre Fundgrube für das Verständnis der amerikanischen Kriegführung in Vietnam darstellen. Zum einen handelt es sich um das Archiv der Vietnam War Crimes Working Group – einer von der Armeeführung eingesetzten Arbeitsgruppe, die zwischen 1970 und 1974 alles einschlägige Material über amerikanische Kriegsverbrechen zusammentrug – außer My Lai sind 246 weitere Fälle dokumentiert. Ein Teil der Akten, die Greiner noch vollständig auswerten konnte, ist seit 2004, dem zweiten Jahr des Irakkrieges, wieder gesperrt.
Zum anderen stützt sich dieses Buch auf die Unterlagen der Peers-Kommission, eines Untersuchungsausschusses der Armee, der unter der Leitung des Generals William R. Peers umfangreiche Dossiers über die Gewaltexzesse in Vietnam, die beteiligten Einheiten und ihre Kommandeure erstellte. Der vierbändige Abschlussbericht wurde 1979 in gekürzter Version ediert; auch den weit über hundert Archivboxen umfassenden Gesamtbestand der Peers-Kommission hat der Hamburger Historiker als Erster systematisch ausgewertet.
»Wer tot ist und ein Vietnamese, ist ein Vietcong«
So aufschlussreich dieses Material auch ist, es zeigt nur einen Teil der Wirklichkeit. Denn sowohl die Vietnam War Crimes Working Group als auch die Peers-Kommission beschränkten sich auf Fälle, welche die zuständigen Stellen der Armee zur Überprüfung angenommen hatten. Taten, die nicht gemeldet oder deren Spuren verwischt worden waren, tauchen in den Akten nicht auf. Nach Greiners Erkenntnissen kann man von einer erheblichen Dunkelziffer ausgehen. Eine ganz genaue Antwort auf die Frage nach dem Umfang der in Vietnam verübten Verbrechen, der Zahl der Opfer und der der Täter ist daher nicht möglich, und der Autor neigt, was die Schätzungen betrifft, eher zur Unter- als zur Übertreibung.
Dennoch – was die Quellen preisgeben, ist schon erschreckend genug. Zu besichtigen ist ein Schlachtfeld, auf dem die Regeln des internationalen Kriegsrechts außer Kraft gesetzt und Folter, Mord und Massaker an der Tagesordnung waren.
Woher rührte die Bereitschaft zu solch exzessiver Gewalt? Bernd Greiner greift zur Erklärung auf das Modell des »asymmetrischen Krieges« zurück. Gemeint ist damit die Konfrontation einer hochgerüsteten, starken Militärmacht mit einem vermeintlich schwachen Gegner. Im Vietnamkrieg hätte die Überlegenheit der Amerikaner kaum größer sein können. Sie beherrschten den Luftraum, vor den Küsten ankerten US-Flugzeugträger, ihre Armeen waren voll motorisiert, während der Vietcong das Kriegsgerät oft nur mit Hilfe von Fahrrädern über den Ho-Chi-Minh-Pfad zum Ziel bringen konnte. Gewinnen konnte die Guerilla den Kampf nur, wenn sie sich nicht auf die Kriegführung einließ, die der Gegner erwartete, sondern auf den Faktor Zeit setzte und dabei ihre wichtigste Ressource nutzte: die Unterstützung durch die Bevölkerung. Das hieß, eine offene Feldschlacht zu vermeiden und den Feind unaufhörlich aus dem Hinterhalt zu attackieren – in einem Krieg, der keine Fronten kannte. Für die US-Truppen verschlechterten sich die Aussichten in dem Maße, wie sich der Krieg hinzog und die Unterstützung durch die »Heimatfront« nachließ. Unter diesen Bedingungen wuchs die Bereitschaft, immer radikalere Mittel einzusetzen, um eine rasche Entscheidung zu erzwingen.
Allerdings hält der Autor die Dynamik der Gewalteskalation keineswegs für unausweichlich. Im Gegenteil: Er leuchtet sorgfältig die Handlungs- und Entscheidungsspielräume aus, die es auf allen Ebenen des politischen und militärischen Prozesses gegeben hat. Seine Arbeit gliedert sich demgemäß in zwei große Teile: Im ersten untersucht er die Rolle der Akteure – von den Kriegsherren im Weißen Haus und den Generalen im Pentagon über die Offiziere, die am Ort des Geschehens die Befehlsgewalt ausübten, bis hin zu den »Frontschweinen«, den grunts, die zu den Kampfeinsätzen herangezogen wurden. Im zweiten Teil verfolgt er in drei Fallstudien die Blutspur, die US-Einheiten bei ihren »Pazifizierungsaktionen« zogen.
Bernd Greiner unterstreicht, dass von einem »Hineinschlittern« Amerikas in den Krieg nicht die Rede sein kann. An Warnungen hatte es nicht gefehlt. Doch fixiert auf die »Dominotheorie«, also die Zwangsvorstellung, dass bei einem Verlust Vietnams ganz Südostasien dem Kommunismus anheimfallen würde, glaubten die US-Präsidenten von John F. Kennedy über Lyndon B. Johnson bis Richard Nixon, in jedem Falle Stärke beweisen und »die Sache durchstehen« zu müssen, wie die stereotype Formel lautete. Für sie ging es um die Glaubwürdigkeit der amerikanischen Weltmacht. Die symbolische Überhöhung des Konflikts machte die amerikanische Politik unfähig zur Selbstkorrektur. Noch Nixon koppelte das Konzept der »Vietnamisierung« des Kriegs mit einer massiven Ausweitung der Bombardements auf Kambodscha und Nordvietnam. Bezeichnend, was der mächtigste Mann der Welt im kleinen Kreis so alles von sich gab: »Also, also, also, fickt die Wichser.« – »Wir werden ihnen verdammt noch mal alles um die Ohren pusten.« – »Wir werden dieses gottverdammte Land dem Erdboden gleichmachen.«
Diesem Denken entsprach eine Militärstrategie, die Greiner mit dem Begriff der »Tonnenideologie« kennzeichnet. Das heißt, durch eine ständige Erhöhung des Zerstörungspotenzials sollte der Gegner mürbe gemacht und zur Aufgabe gezwungen werden. Eine Alternative dazu wäre gewesen, durch einen Katalog von civic action-Maßnahmen – Wirtschaftshilfe, Ausbau der Infrastruktur, Bodenreform – die Bevölkerung zu gewinnen, den Bauern eine Perspektive zu bieten und die Guerilla zu isolieren. Doch eine solche Strategie hätte viel Zeit und Geduld erfordert und kam daher für die amerikanische Militärführung von vornherein nicht infrage.
Stattdessen verlegte sie sich auf die search and destroy-Taktik: Ein und dasselbe Territorium wurde immer wieder »durchgekämmt« und danach geräumt – in der Hoffnung, dass der Gegner jedes Mal mit frischen Kräften nachrücken würde und man ihn auf diese Weise zum »Ausbluten« bringen könnte. In der Logik dieses Abnutzungskalküls lag, dass die Zahl der getöteten Gegner – der body count – zum wichtigsten Kriterium des militärischen Erfolgs gemacht wurde. Das bedeutete, dass auf jeden Truppenführer, auf jede kämpfende Einheit ein starker Druck ausgeübt wurde, die »Tötungsquote« zu erhöhen.
Bernd Greiner beschreibt kühl und präzise die katastrophalen Konsequenzen: In den zu free fire zones erklärten Gebieten war der Unterschied zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten aufgehoben; es wurde auf alles geschossen, was sich bewegte. »Wer tot ist und ein Vietnamese, ist ein Vietcong«, lautete die Faustregel. Das wahllose »Zielschießen« auf Zivilisten war gängige Praxis. Besonders Hubschrauberpiloten taten sich bei solchen joy rides, wie sie genannt wurden, hervor. Und ebenso gehörte das Foltern von Gefangenen zur Alltagsroutine. Beliebt war unter anderem die airborne interrogation; Verdächtige wurden zum Reden gebracht, indem man aus ihrer Mitte einen herausgriff und aus dem Hubschrauber warf. »Es ist doch egal, was du mit denen machst… Keiner hier sieht die Vietnamesen als Menschen«, diese Äußerung eines GIs spiegelt eine weitverbreitete Einstellung.
Die US-Streitkräfte bewegten sich faktisch in rechtsfreien Räumen
Dabei verlangten die rules of engagement, die offiziellen Richtlinien für Kampfeinsätze, eine Rücksichtnahme auf die an den Kämpfen nicht beteiligte Zivilbevölkerung, doch Greiner macht deutlich, dass die meisten der jungen, frontunerfahrenen Offiziere weder willens noch fähig waren, diesen – sehr dehnbaren – Bestimmungen Genüge zu tun. In den free fire zones bewegten sich die US-Streitkräfte faktisch in rechtsfreien Räumen, und Soldaten, die daraus eine Lizenz zum Töten ableiteten, konnten sich in vielen Fällen der stillschweigenden Duldung, wenn nicht gar der ausdrücklichen Zustimmung ihrer Vorgesetzten sicher sein.
Die gesamte Strategie in Vietnam lief also auf eine Entgrenzung der Gewalt und eine Brutalisierung der Kriegführung hinaus. Zugleich beobachtet Bernd Greiner jedoch bei der kämpfenden Truppe eine Tendenz zur Selbstradikalisierung. Normale junge Männer, zumeist aus den unteren Schichten der Gesellschaft, verwandelten sich innerhalb weniger Wochen in wütende Krieger, die keine Hemmungen hatten, zu morden und zu vergewaltigen. Der Autor führt dies zum einen auf das Hasstraining zurück, dem die GIs unterzogen wurden, zum anderen auf die spezifische Kampfsituation, der sie im Dschungel von Vietnam ausgesetzt waren. Die Front war hier überall und nirgends, der Feind unsichtbar und doch allgegenwärtig. Jederzeit drohte der Tod durch Minen, Sprengfallen oder Heckenschützen. Angst mischte sich mit Wut, Hass mit Selbsthass, und daraus erwuchs – so Greiner – »die Selbstermächtigung zur exzessiven Gewalt«.
Was das in der Praxis bedeutete, wird in drei Nahaufnahmen veranschaulicht. Wer diese Kapitel liest, braucht starke Nerven, denn sie zeigen eine entfesselte Soldateska. Zuerst wird das Wüten der Task Force Oregon, eines aus drei Brigaden bestehenden Kampfverbands, in der Provinz Quang Nai zwischen Frühjahr und Herbst 1967 beschrieben. Am Ende lagen 70 Prozent aller Siedlungen in der Provinz in Trümmern, einige Gebiete waren vollkommen pulverisiert, 40 Prozent der Einwohner zeitweilig oder dauerhaft auf der Flucht, unzählige Tote unter der Zivilbevölkerung zu beklagen. Durch besondere Brutalität zeichnete sich eine Sondereinheit namens Tiger Force aus. (Über diese Todesschwadron haben die amerikanischen Journalisten Michael Sallah und Mitch Weiss bereits 2006 eine Monografie veröffentlicht.) Sie mordete nicht nur alles, was ihr über den Weg lief, sondern ging so weit, Ermordete zu verstümmeln und Leichenteile zur Schau zu tragen.
Die zweite Fallstudie geht der Anfang Februar 1968 unter dem Eindruck der Tet-Offensive gebildeten Task Force Baker nach. Im Zentrum steht die minutiöse Rekonstruktion der Ereignisse von My Lai. Es ist nicht die erste Darstellung dieses Massakers, aber doch die erschütterndste. Die Sturmgewehre vom Typ M-16 auf Automatikfeuer gestellt, verwandelten die einrückenden amerikanischen Soldaten das Dorf innerhalb weniger Minuten in ein Schlachthaus. »Frauen mit Kleinkindern auf dem Arm wurden ebenso niedergemacht wie Gruppen von Erwachsenen, die auf den Knien um Gnade flehten, oder Greise, die man allein in ihren Unterkünften angetroffen hatte.« Dabei handelte es sich nicht um einen Exzess im Blutrausch, sondern um kühl kalkulierten Mord – um »Tötungsarbeit«. »Wenn wir die Mütter töten, die Frauen, werden sie keine Vietcong mehr produzieren. Und wenn wir die Kinder töten, werden sie nicht zu Vietcong heranwachsen. Und wenn wir alle töten, wird es am Ende keine Vietcong mehr geben« – so sagte einer der Beteiligten aus.
Es gab auch Soldaten, die sich dem Morden verweigerten
Das dritte Beispiel beschäftigt sich mit den von Truppen der 9. Infantry Division zwischen November 1968 und April 1969 im Mekongdelta durchgeführten Operation Speedy Express – eine der blutigsten »Pazifizierungskampagnen« des gesamten Krieges, deren Planung und Durchführung Greiner erstmals untersucht. Am Ende wurden knapp 11000 Tote gezählt, aber nur 748 erbeutete Waffen – ein sicheres Indiz dafür, wie hoch der Anteil der zivilen Opfer war.
Das abschließende Kapitel Richter handelt von einem einzigartigen Skandal: der ausgebliebenen juristischen Ahndung der Kriegsverbrechen. Nur ein Bruchteil der Täter musste sich überhaupt vor Militärstrafgerichten verantworten, die meisten Verfahren scheiterten bereits im Vorwege, indem die Strafverfolger der Armee im Verein mit Bürokraten und Politikern die Ermittlungen sabotierten. Die wenigen Verurteilten kamen mit lächerlich geringen Strafen davon. Leutnant William Calley, einer der Hauptverantwortlichen für das Massaker von My Lai, war nach 44 Monaten Hausarrest wieder auf freiem Fuß. Der Autor spricht von »einer Erosion der militärischen Rechtskultur auf legalem Wege«.
Bernd Greiner hat ein wichtiges, ein herausragendes Buch geschrieben. Es besticht durch umfassende Quellen- und Literaturkenntnisse, durch scharfsinnige Analysen und ein Höchstmaß an Sachlichkeit und Differenzierung. So macht Greiner immer wieder auf das Beispiel amerikanischer Soldaten aufmerksam, die sich ein Gefühl für Menschlichkeit bewahrt hatten und sich dem Morden verweigerten. Besonders eindrucksvoll erscheint das Verhalten des Hubschrauberpiloten Hugh Thompson, der in My Lai einige Vietnamesen vor dem sicheren Tode retten konnte, wobei die Bordschützen seines Helikopters ihre mordbereiten Kameraden in Schach hielten. Die scharfe Verurteilung der amerikanischen Kriegsstrategie verführt den Autor überdies nicht dazu, die Gegenseite zu idealisieren. Vielmehr weist er darauf hin, dass auch der Vietcong und die nordvietnamesischen Soldaten vor terroristischen Maßnahmen gegen die Zivilbevölkerung nicht zurückschreckten. Eines der schlimmsten Massaker verübten sie, als sie im Februar 1968 die Kaiserstadt Hue besetzt hielten.
Man darf gespannt sein, wie das Werk aufgenommen wird. Mit seinen Recherchen steht der Autor in der aufklärerischen Tradition kritischer amerikanischer Journalisten und Publizisten wie Seymour M. Hersh, der mit seinem ersten Aufsatz über My Lai vom November 1969 den Stein ins Rollen brachte, oder Daniel Ellsberg, der im Sommer 1971 die »Pentagon Papers« der New York Times zuspielte. Zugleich kann das Buch gelesen werden als eine glänzende Rechtfertigung der Antikriegsbewegung in den USA (und anderen westlichen Ländern), die mit ihren Protesten dazu beitrug, dem mörderischen Unternehmen ein Ende zu setzen.
Vierzig Jahre hat es gedauert, bis nun, auch dank der akribischen Forschungen Bernd Greiners, das ganze Ausmaß der amerikanischen Kriegsverbrechen in Vietnam ans Licht kommt. Wie lange wird es dauern, bis wir erfahren, was heute im Irak geschieht?
Ich denke das Buch ist sicherlich empfehlenswert für Leute die sich mit dem Thema Kriegsverbrechen auseinandersetzen.
- Aamon
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Ein schönes Review von Richard Dawkins neuem Buch \"Der Gotteswahn\" vom Falter:
Da steht Gott im Titel, also schicken wir es einem Religionsheini.“ Über diesen fantasielosen Reflex von Feuilletonredakteuren beim Versenden von Rezensionsexemplaren spekuliert Richard Dawkins im Nachwort zu seinem jüngsten Buch. „Der Gotteswahn“ war letztes Jahr ein Überraschungsbestseller, wurde auf Amazon von über tausend Laienrezensenten weitgehend freudig begrüßt – kam aber in den Besprechungen angloamerikanischer Medien nicht annähernd so gut weg. Was war passiert?
Seine Annahme mit den „Religionsheinis“ sei dann doch zu zynisch, räumt Dawkins selbst ein. Freilich nur, weil er einen noch schlimmeren Verdacht hegt: die vorauseilenden Gläubigen zweiter Ordnung, sprich, die Verliebtheit vieler Intellektueller (und Zeitungsmenschen) in den Glauben der anderen, den „Glauben an den Glauben“, dem diese selbst nicht Gläubigen übertriebenen Respekt zollen, wodurch sie zu einem Teil des Problems werden, gegen das Dawkins anschreibt.
Er tut das mit Vernunft und mit Verve, aber nicht mit der Aggressivität, die ihm oft nachgesagt wird. „Der Gotteswahn“ („The God Delusion“) ist ein durchdachtes, gut argumentiertes Stück Debattenkultur und beileibe nicht, wie einer der Standardvorwürfe lautet, „genauso fundamentalistisch“ wie seine eigentlichen Gegner, die fanatischen Gläubigen. Aber mit seiner Meinung hinter dem Berg hält der britische Evolutionsbiologe keineswegs. Geboren 1941 in Nairobi, wurde er in den Siebzigerjahren mit dem Megabest- und Longseller „Das egoistische Gen“ bekannt, das die Evolutionstheorie auf die Ebene der Gene zu übertragen sucht. Als Inhaber der Charles-Simonyi-Professur of the Public Understanding of Science an der Oxford University hat er keine Lehrverpflichtungen und kann sich ganz der Wissenschaftspopularisierung widmen. Er gilt als einer der einflussreichsten Intellektuellen der Gegenwart.
„In den letzten rund zwanzig Jahren“, erklärte Dawkins kürzlich in einem Spiegel-Interview, „ist es der Religion sehr leichtgemacht worden. Wer glaubte, hatte einen privilegierten Status. Neu ist, dass die Menschen davon die Nase voll haben. Das liegt gewiss auch am Erstarken des Islam. Die Zeit ist reif für ein neues atheistisches Denken.“ Dass als Erstverkaufstag von „Der Gotteswahn“ der 11. September gewählt wurde, lag wohl mehr als nahe.
Dawkins möchte das Bewusstsein dafür schärfen, dass Religion an sich und nicht nur in ihren Auswüchsen fundamentalistisch ist – und dass Atheist zu sein nichts ist, wofür man sich entschuldigen muss, sondern ein realistisches, tapferes, ja großartiges Ziel. Damit hebt er vor allem auf US-amerikanische Verhältnisse ab, wo Atheisten heute genau so diskriminiert würden wie Homosexuelle in den Fünfzigerjahren und sich – besonders als Politiker oder gar Präsidentschaftskandidaten – nicht zu outen wagten.
Obwohl zahlenmäßig mindestens so groß wie andere religiöse Gruppierungen seien Atheisten und Agnostiker nicht organisiert und hätten deshalb so gut wie keinen Einfluss in Gremien und Kommissionen. Diesem Missstand soll die 2003 gegründete Bewegung der „Brights“ Abhilfe schaffen – wobei mit „bright“ eine positiv konnotierte Begriffsneuprägung in Analogie zum „gay“ der Homosexuellen versucht wird. Die „neuen Atheisten“ haben den unverhältnismäßigen Vorrechten der Religiösen bei Medien und staatlichen Institutionen in Diskussionen über Ethik jetzt den Kampf angesagt. Denn es könne nicht angehen, sagt Dawkins, dass Religionsfreiheit als Freibrief für Vorurteile, schlechtes Benehmen und unlauteren Wettbewerb im Kampf um die mediale Aufmerksamkeit, die angebliche Verletzung religiöser Gefühle als Schutzschild vor Kritik, kurz: die Religion als Trumpfkarte schlechthin miss-braucht würde.
Brauchen wir Gott, um gut zu sein? Dawkins besteht darauf, dass nicht nur unsere Moral nicht aus der Bibel stammt, sondern dass wir auch keinen Gott benötigen, um Gut und Böse unterscheiden zu können. Das zentrale, vierte Kapitel seines Buches dreht sich aber um die erste Kernfrage des Glaubens: Gibt es einen Gott? Nach der geduldigen Entkräftung allerhand verdrehter Gottesbeweise – eine wahre Sisyphosarbeit, die Dawkins bravourös meistert – kommt er zu dem lapidaren Schluss: „Gott existiert mit ziemlicher Sicherheit nicht.“ Gott sei für die Erklärung der Entwicklung des Lebens und selbst eines so komplexen Wesens wie des Menschen seit Darwins Evolutionstheorie überflüssig, die Intelligent-Design-Theorie, die „wie ein Unkraut in den verbliebenen Lücken der naturwissenschaftlichen Kenntnisse gedeiht“, eine bloße Täuschung.
Weniger zu überzeugen vermag hingegen das fünfte Kapitel, in dem Dawkins über die Entstehung von Religion und deren evolutionäre Funktion spekuliert – ein derart energieaufwendiges, ja -verschwendendes System müsse, evolutionstheoretisch gesehen, einen Nutzen haben. Religion als psychologisches Nebenprodukt der Evolution, als Kehrseite des vertrauensvollen Gehorsams von Kindern, nämlich sklavische Leichtgläubigkeit, als Beiprodukt der irrationalen Neigung, uns zu verlieben, entstanden durch unbewusste Evolution oder aus dem Nichts, angetrieben von einer gehörigen Portion Wunschdenken, als Placebo für Stressminderung und Trost zu verstehen: Das alles scheint zwar nicht unrichtig, aber zu kompliziert, zu unausgegoren – und widerspricht im Übrigen auch Dawkins eigenem Anspruch, dass eine Theorie möglichst einfach sein solle. Ein schlagenderer Einwand ist allerdings, dass darin ein Phänomen nicht vorkommt, das ursächlich mit Religion verbunden zu sein scheint: die Gewalt.
Dass Dawkins in seiner umfangreichen Bibliografie René Girard nicht aufführt, mag wohl an einem fantasielosen Reflex des Naturwissenschaftlers liegen. Denn der Mythenforscher Girard bekennt sich zwar zum katholischen Glauben, argumentiert die Entstehung von Religion aber innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Bekannt geworden in den Siebzigerjahren mit „Das Heilige und die Gewalt“ kann seine „mimetische Theorie“ diesen Konnex plausibel erklären (zuletzt in „Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz“, 2002). Das nachahmende, eben „mimetische“ menschliche Begehren, sagt Girard, führe notwendigerweise zu Neid, Rivalität und damit innergesellschaftlicher Gewalt, die in archaischen Gesellschaften durch den sogenannten Sündenbockmechanismus beendet wurde, die Opferung eines Unschuldigen, der danach vergöttlicht wurde. Damit wäre Religion, entstanden als systematische Nachahmung dieser ursprünglichen Gewalt, ein wenn auch unvollkommener erster Versuch, die menschliche Gewalt in den Griff zu bekommen – mithilfe von Gewalt. Ein Paradox, das aus einem Tier-Wesen den Menschen machte und diesem ein zwiespältiges Erbe hinterließ.
Kirstin Breitenfellner im Falter | Wien 37/2007 vom 12.9.2007 (Seite 69)
http://www.ullsteinbuchverlage.de/ullst ... age=buchaz
http://www.falter.at
Da steht Gott im Titel, also schicken wir es einem Religionsheini.“ Über diesen fantasielosen Reflex von Feuilletonredakteuren beim Versenden von Rezensionsexemplaren spekuliert Richard Dawkins im Nachwort zu seinem jüngsten Buch. „Der Gotteswahn“ war letztes Jahr ein Überraschungsbestseller, wurde auf Amazon von über tausend Laienrezensenten weitgehend freudig begrüßt – kam aber in den Besprechungen angloamerikanischer Medien nicht annähernd so gut weg. Was war passiert?
Seine Annahme mit den „Religionsheinis“ sei dann doch zu zynisch, räumt Dawkins selbst ein. Freilich nur, weil er einen noch schlimmeren Verdacht hegt: die vorauseilenden Gläubigen zweiter Ordnung, sprich, die Verliebtheit vieler Intellektueller (und Zeitungsmenschen) in den Glauben der anderen, den „Glauben an den Glauben“, dem diese selbst nicht Gläubigen übertriebenen Respekt zollen, wodurch sie zu einem Teil des Problems werden, gegen das Dawkins anschreibt.
Er tut das mit Vernunft und mit Verve, aber nicht mit der Aggressivität, die ihm oft nachgesagt wird. „Der Gotteswahn“ („The God Delusion“) ist ein durchdachtes, gut argumentiertes Stück Debattenkultur und beileibe nicht, wie einer der Standardvorwürfe lautet, „genauso fundamentalistisch“ wie seine eigentlichen Gegner, die fanatischen Gläubigen. Aber mit seiner Meinung hinter dem Berg hält der britische Evolutionsbiologe keineswegs. Geboren 1941 in Nairobi, wurde er in den Siebzigerjahren mit dem Megabest- und Longseller „Das egoistische Gen“ bekannt, das die Evolutionstheorie auf die Ebene der Gene zu übertragen sucht. Als Inhaber der Charles-Simonyi-Professur of the Public Understanding of Science an der Oxford University hat er keine Lehrverpflichtungen und kann sich ganz der Wissenschaftspopularisierung widmen. Er gilt als einer der einflussreichsten Intellektuellen der Gegenwart.
„In den letzten rund zwanzig Jahren“, erklärte Dawkins kürzlich in einem Spiegel-Interview, „ist es der Religion sehr leichtgemacht worden. Wer glaubte, hatte einen privilegierten Status. Neu ist, dass die Menschen davon die Nase voll haben. Das liegt gewiss auch am Erstarken des Islam. Die Zeit ist reif für ein neues atheistisches Denken.“ Dass als Erstverkaufstag von „Der Gotteswahn“ der 11. September gewählt wurde, lag wohl mehr als nahe.
Dawkins möchte das Bewusstsein dafür schärfen, dass Religion an sich und nicht nur in ihren Auswüchsen fundamentalistisch ist – und dass Atheist zu sein nichts ist, wofür man sich entschuldigen muss, sondern ein realistisches, tapferes, ja großartiges Ziel. Damit hebt er vor allem auf US-amerikanische Verhältnisse ab, wo Atheisten heute genau so diskriminiert würden wie Homosexuelle in den Fünfzigerjahren und sich – besonders als Politiker oder gar Präsidentschaftskandidaten – nicht zu outen wagten.
Obwohl zahlenmäßig mindestens so groß wie andere religiöse Gruppierungen seien Atheisten und Agnostiker nicht organisiert und hätten deshalb so gut wie keinen Einfluss in Gremien und Kommissionen. Diesem Missstand soll die 2003 gegründete Bewegung der „Brights“ Abhilfe schaffen – wobei mit „bright“ eine positiv konnotierte Begriffsneuprägung in Analogie zum „gay“ der Homosexuellen versucht wird. Die „neuen Atheisten“ haben den unverhältnismäßigen Vorrechten der Religiösen bei Medien und staatlichen Institutionen in Diskussionen über Ethik jetzt den Kampf angesagt. Denn es könne nicht angehen, sagt Dawkins, dass Religionsfreiheit als Freibrief für Vorurteile, schlechtes Benehmen und unlauteren Wettbewerb im Kampf um die mediale Aufmerksamkeit, die angebliche Verletzung religiöser Gefühle als Schutzschild vor Kritik, kurz: die Religion als Trumpfkarte schlechthin miss-braucht würde.
Brauchen wir Gott, um gut zu sein? Dawkins besteht darauf, dass nicht nur unsere Moral nicht aus der Bibel stammt, sondern dass wir auch keinen Gott benötigen, um Gut und Böse unterscheiden zu können. Das zentrale, vierte Kapitel seines Buches dreht sich aber um die erste Kernfrage des Glaubens: Gibt es einen Gott? Nach der geduldigen Entkräftung allerhand verdrehter Gottesbeweise – eine wahre Sisyphosarbeit, die Dawkins bravourös meistert – kommt er zu dem lapidaren Schluss: „Gott existiert mit ziemlicher Sicherheit nicht.“ Gott sei für die Erklärung der Entwicklung des Lebens und selbst eines so komplexen Wesens wie des Menschen seit Darwins Evolutionstheorie überflüssig, die Intelligent-Design-Theorie, die „wie ein Unkraut in den verbliebenen Lücken der naturwissenschaftlichen Kenntnisse gedeiht“, eine bloße Täuschung.
Weniger zu überzeugen vermag hingegen das fünfte Kapitel, in dem Dawkins über die Entstehung von Religion und deren evolutionäre Funktion spekuliert – ein derart energieaufwendiges, ja -verschwendendes System müsse, evolutionstheoretisch gesehen, einen Nutzen haben. Religion als psychologisches Nebenprodukt der Evolution, als Kehrseite des vertrauensvollen Gehorsams von Kindern, nämlich sklavische Leichtgläubigkeit, als Beiprodukt der irrationalen Neigung, uns zu verlieben, entstanden durch unbewusste Evolution oder aus dem Nichts, angetrieben von einer gehörigen Portion Wunschdenken, als Placebo für Stressminderung und Trost zu verstehen: Das alles scheint zwar nicht unrichtig, aber zu kompliziert, zu unausgegoren – und widerspricht im Übrigen auch Dawkins eigenem Anspruch, dass eine Theorie möglichst einfach sein solle. Ein schlagenderer Einwand ist allerdings, dass darin ein Phänomen nicht vorkommt, das ursächlich mit Religion verbunden zu sein scheint: die Gewalt.
Dass Dawkins in seiner umfangreichen Bibliografie René Girard nicht aufführt, mag wohl an einem fantasielosen Reflex des Naturwissenschaftlers liegen. Denn der Mythenforscher Girard bekennt sich zwar zum katholischen Glauben, argumentiert die Entstehung von Religion aber innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Bekannt geworden in den Siebzigerjahren mit „Das Heilige und die Gewalt“ kann seine „mimetische Theorie“ diesen Konnex plausibel erklären (zuletzt in „Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz“, 2002). Das nachahmende, eben „mimetische“ menschliche Begehren, sagt Girard, führe notwendigerweise zu Neid, Rivalität und damit innergesellschaftlicher Gewalt, die in archaischen Gesellschaften durch den sogenannten Sündenbockmechanismus beendet wurde, die Opferung eines Unschuldigen, der danach vergöttlicht wurde. Damit wäre Religion, entstanden als systematische Nachahmung dieser ursprünglichen Gewalt, ein wenn auch unvollkommener erster Versuch, die menschliche Gewalt in den Griff zu bekommen – mithilfe von Gewalt. Ein Paradox, das aus einem Tier-Wesen den Menschen machte und diesem ein zwiespältiges Erbe hinterließ.
Kirstin Breitenfellner im Falter | Wien 37/2007 vom 12.9.2007 (Seite 69)
http://www.ullsteinbuchverlage.de/ullst ... age=buchaz
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- Ger-Hard
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[quoteuzu]
[iuzu]Original von biergerry:[/iuzu]
Arkadi Babtschenko - Die Farbe des Krieges
ein wirklich fesselndes buch. wollte vorhin lesen anfangen, und hab das teil glatt in einem durch verschlungen.
babtschenko ist mit 18 jahren in die russische armee gekommen und nach tschetschenien verlegt worden. er beschreibt in dem buch die gräuel die von beiden seiten angerichtet werden. nicht nur das menschliche leid ist objekt seiner erzählungen. er zeigt vor allem auf, welche verbrechen in der russischen armee statt finden. von diebstalh, gewaltakten, usw. auch die folgen die der krieg auf menschen hat werden beleuchtet.
der vergleich am einband mit remarque ist durchaus berechtigt.
ein fesselndes buch, das viele grausame fakten an den tag legt.
edit: hier gibts noch mehr infos zum buch: http://derstandard.at/?id=2878195
[/quoteuzu]
Habs jetzt auch binnen 2 Tagen gelesen. Wie Gerry schon sagt sehr fesselnd und erschütternd. Kann ich echt nur jedem empfehlen.
[iuzu]Original von biergerry:[/iuzu]
Arkadi Babtschenko - Die Farbe des Krieges
ein wirklich fesselndes buch. wollte vorhin lesen anfangen, und hab das teil glatt in einem durch verschlungen.
babtschenko ist mit 18 jahren in die russische armee gekommen und nach tschetschenien verlegt worden. er beschreibt in dem buch die gräuel die von beiden seiten angerichtet werden. nicht nur das menschliche leid ist objekt seiner erzählungen. er zeigt vor allem auf, welche verbrechen in der russischen armee statt finden. von diebstalh, gewaltakten, usw. auch die folgen die der krieg auf menschen hat werden beleuchtet.
der vergleich am einband mit remarque ist durchaus berechtigt.
ein fesselndes buch, das viele grausame fakten an den tag legt.
edit: hier gibts noch mehr infos zum buch: http://derstandard.at/?id=2878195
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Habs jetzt auch binnen 2 Tagen gelesen. Wie Gerry schon sagt sehr fesselnd und erschütternd. Kann ich echt nur jedem empfehlen.
- Aamon
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- mauergecko
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Ich glaube das Buch kann man auch empfehlen, ich werds mir wohl mal zulegen:
\"Consumed. Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Demokratie untergräbt\"
Für das grenzenlose Habenwollen, auf dem die Märkte beruhen, muss die Demokratie einen hohen Preis zahlen, meint Politologe Benjamin Barber.
Mit dem globalen Kapitalismus und seiner Klientel verhält es sich wie mit der Affenfalle: Man legt eine Kokosnuss in ein Gefäß mit schlankem Hals. Der Affe greift hinein, bringt seine Hand aber nicht heraus, weil er das Objekt der Begierde nicht mehr loslässt. Geradeso tappen wir vor lauter Gier in die Konsumismusfalle und werden zu Gefangenen des Marktes.
So sieht es jedenfalls der amerikanische Politikwissenschafter und Bestsellerautor Benjamin R. Barber: Der Kapitalismus frisst seine Kinder, behauptet er in seinem neuen Buch „Consumed“. Rücksichtslos überrollt der neoliberale Markt mühsam errungene Tugenden wie Demokratie, Verantwortung und zwischenmenschliches Engagement – die in einem gemäßigten Kapitalismus hochgehalten wurden –, zugunsten eines geschickt gesteuerten grenzenlosen Habenwollens.
Das Profil des neuen Ethos setzt sich aus dem Überfluss an produzierten Gütern und dem Bestreben zusammen, bereits Vierjährige zu gewichtigen Konsumenten zu machen und aus Erwachsenen bloße Schnäppchenjäger, die von Topmarke zu Topmarke unterwegs sind. Eine Entwicklung, auf die wir seit dem Fall der Mauer zusteuern, also vom Ende des Kommunismus zum totalen Konsumismus mit selbstzerstörerischen Konsequenzen: Aus freien Bürgern werden infantile abhängige Verbraucher, eine wachsende Gemeinschaft von „Kidults“.
„Die Ideologie der Privatisierung, das Vermarkten von Marken und eine Gleichschaltung des Geschmacks unterstützen das ,Ethos der Infantilisierung‘“, schreibt Barber. Analysen, die uns nicht fremd sind, aber beim Lesen stellt sich der Wiedererkennungseffekt ein, zumal der Weg zur Infantilisierung, auf dem wir uns befinden, sehr konkret beschrieben wird. Dem Autor geht es darum, das Bewusstsein für diesen Infantilisierungsprozess zu schärfen und an die mündige Zivilgesellschaft zu appellieren, Gleichheit nicht mit Profit zu verwechseln und Vielfalt nicht mit Konsum.
Die Macher des neoliberal verschärften Kapitalismus sehen nicht ein, dass Unternehmen zu viel produzieren, sondern gehen davon aus, dass Verbraucher zu wenig verbrauchen, so Barber. Da es aber viele Bedürftige ohne Einkommen und viele Gutbetuchte ohne Bedürfnisse und Kauflust gebe, sei der Markt im Dilemma zwischen „Wachsen oder Weichen“. Nur zwei Möglichkeiten böten sich an: Arme so reich machen, dass sie konsumfähig sind, oder Erwachsene, die Geld, aber keine Bedürfnisse mehr haben, durch das Versprechen von Jugend und Schönheit zum Konsum zu verführen: „Indem man sie dazu bringt, in ihrem Geschmack kindlich und impulsiv zu bleiben, sorgt man dafür, dass sie die Güter des globalen Marktes kaufen, die für indolente und wohlhabende Jugendliche bestimmt sind“, vermerkt Barber und beschreibt, wie die sieben Alter, die der Mensch hat, gezielt weggespült werden von einer lebenslang währenden, künstlich inszenierten Kindheit.
Interessant ist, wie der Autor die Rolle von Kunst und Kultur analysiert. Das alles geschehe mit tatkräftiger Hilfe kultureller Instrumente und Medien, behauptet er – vor allem des Kinos. Dieser unermüdliche Produzent von Sehnsüchten und Spiegel von Träumen sei Wegweiser nicht nur für das Theater und die Kunst, sondern auch Weichensteller für die Wirtschaft. Gerade großen Hollywoodfilmen lasse sich ablesen, wie weit die Anpassung an die Infantilisierung fortgeschritten ist. Die neuen Blockbuster weisen universale kindliche Merkmale auf, wie „Comic-Handlung, Charaktere, die selbst Markeneigenschaften haben, unzählige Fortsetzungen, ausgiebiges Product-Placement und Werbeeinblendungen für Fastfood (...), dürftige Plots und noch dürftigere Dialoge“, analysiert der Politikwissenschafter die Produkte der Traumfabrik als Symbol für einen „triumphierenden Kapitalismus“.
Um die Sehnsucht nach fortdauernder Kindhaftigkeit am Köcheln zu halten, bedarf es eines hohen Investments in das Wecken entsprechender Bedürfnisse und Bestätigen des Möglichen und Machbaren. So zahlte etwa die USA 16 Milliarden Dol_-lar im Jahr 2003 an Auslandshilfe, für Werbeausgaben aber geschätzte 276_Milliarden Dollar. Investitionen, die sich à la longue doch lohnen: Immerhin zeichnen 11,5 Prozent der Weltbevölkerung für rund 60 Prozent der weltweiten Ausgaben für privaten Konsum verantwortlich.
Natürlich begann der Trend zum Jugendkult schon nach dem Zweiten Weltkrieg. Heute will man das Image von Lässigkeit – wie Jeans und her aushängende Hemden – bis ins „Rentenalter schmuggeln“. Mittlerweile genügt es nicht mehr, die Alten zu infantilisieren. Ständig müssen neue Gruppen erschlossen werden, schon Kleinkinder sind als kaufkräftige Klientel im Visier des Marktes. Überall werde die Infantilisierung gefördert – auch an den Hochschulen, die zu Wissensfabriken geworden seien, deren Studenten zu unersättlichen Konsumenten.
Auch dies wiederum eine Reaktion auf Stress im Lehrbetrieb und auf die Angst vor einer ungesicherten Zukunft. Kinder wollen „haben“, ohne Rücksicht auf Bedürfnisse anderer – diese Haltung will der Markt für die Alten bewahren: Eingefroren in der Zeit, sollen alternde Erwachsene jugendliche Verbraucher bleiben. Peter Pan ist überall: „Ich will für immer ein kleiner Junge sein und meinen Spaß haben.“
(Sibylle Fritsch/DER STANDARD, ALBUM, 15./16.3.2008)
Benjamin Barber: „Consumed. Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Demokratie untergräbt“. Aus dem Englischen von Friedrich Griese, €_23,60/432 Seiten, Verlag C.H. Beck, München 2008.
http://derstandard.at/?url=/?id=3265364
\"Consumed. Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Demokratie untergräbt\"
Für das grenzenlose Habenwollen, auf dem die Märkte beruhen, muss die Demokratie einen hohen Preis zahlen, meint Politologe Benjamin Barber.
Mit dem globalen Kapitalismus und seiner Klientel verhält es sich wie mit der Affenfalle: Man legt eine Kokosnuss in ein Gefäß mit schlankem Hals. Der Affe greift hinein, bringt seine Hand aber nicht heraus, weil er das Objekt der Begierde nicht mehr loslässt. Geradeso tappen wir vor lauter Gier in die Konsumismusfalle und werden zu Gefangenen des Marktes.
So sieht es jedenfalls der amerikanische Politikwissenschafter und Bestsellerautor Benjamin R. Barber: Der Kapitalismus frisst seine Kinder, behauptet er in seinem neuen Buch „Consumed“. Rücksichtslos überrollt der neoliberale Markt mühsam errungene Tugenden wie Demokratie, Verantwortung und zwischenmenschliches Engagement – die in einem gemäßigten Kapitalismus hochgehalten wurden –, zugunsten eines geschickt gesteuerten grenzenlosen Habenwollens.
Das Profil des neuen Ethos setzt sich aus dem Überfluss an produzierten Gütern und dem Bestreben zusammen, bereits Vierjährige zu gewichtigen Konsumenten zu machen und aus Erwachsenen bloße Schnäppchenjäger, die von Topmarke zu Topmarke unterwegs sind. Eine Entwicklung, auf die wir seit dem Fall der Mauer zusteuern, also vom Ende des Kommunismus zum totalen Konsumismus mit selbstzerstörerischen Konsequenzen: Aus freien Bürgern werden infantile abhängige Verbraucher, eine wachsende Gemeinschaft von „Kidults“.
„Die Ideologie der Privatisierung, das Vermarkten von Marken und eine Gleichschaltung des Geschmacks unterstützen das ,Ethos der Infantilisierung‘“, schreibt Barber. Analysen, die uns nicht fremd sind, aber beim Lesen stellt sich der Wiedererkennungseffekt ein, zumal der Weg zur Infantilisierung, auf dem wir uns befinden, sehr konkret beschrieben wird. Dem Autor geht es darum, das Bewusstsein für diesen Infantilisierungsprozess zu schärfen und an die mündige Zivilgesellschaft zu appellieren, Gleichheit nicht mit Profit zu verwechseln und Vielfalt nicht mit Konsum.
Die Macher des neoliberal verschärften Kapitalismus sehen nicht ein, dass Unternehmen zu viel produzieren, sondern gehen davon aus, dass Verbraucher zu wenig verbrauchen, so Barber. Da es aber viele Bedürftige ohne Einkommen und viele Gutbetuchte ohne Bedürfnisse und Kauflust gebe, sei der Markt im Dilemma zwischen „Wachsen oder Weichen“. Nur zwei Möglichkeiten böten sich an: Arme so reich machen, dass sie konsumfähig sind, oder Erwachsene, die Geld, aber keine Bedürfnisse mehr haben, durch das Versprechen von Jugend und Schönheit zum Konsum zu verführen: „Indem man sie dazu bringt, in ihrem Geschmack kindlich und impulsiv zu bleiben, sorgt man dafür, dass sie die Güter des globalen Marktes kaufen, die für indolente und wohlhabende Jugendliche bestimmt sind“, vermerkt Barber und beschreibt, wie die sieben Alter, die der Mensch hat, gezielt weggespült werden von einer lebenslang währenden, künstlich inszenierten Kindheit.
Interessant ist, wie der Autor die Rolle von Kunst und Kultur analysiert. Das alles geschehe mit tatkräftiger Hilfe kultureller Instrumente und Medien, behauptet er – vor allem des Kinos. Dieser unermüdliche Produzent von Sehnsüchten und Spiegel von Träumen sei Wegweiser nicht nur für das Theater und die Kunst, sondern auch Weichensteller für die Wirtschaft. Gerade großen Hollywoodfilmen lasse sich ablesen, wie weit die Anpassung an die Infantilisierung fortgeschritten ist. Die neuen Blockbuster weisen universale kindliche Merkmale auf, wie „Comic-Handlung, Charaktere, die selbst Markeneigenschaften haben, unzählige Fortsetzungen, ausgiebiges Product-Placement und Werbeeinblendungen für Fastfood (...), dürftige Plots und noch dürftigere Dialoge“, analysiert der Politikwissenschafter die Produkte der Traumfabrik als Symbol für einen „triumphierenden Kapitalismus“.
Um die Sehnsucht nach fortdauernder Kindhaftigkeit am Köcheln zu halten, bedarf es eines hohen Investments in das Wecken entsprechender Bedürfnisse und Bestätigen des Möglichen und Machbaren. So zahlte etwa die USA 16 Milliarden Dol_-lar im Jahr 2003 an Auslandshilfe, für Werbeausgaben aber geschätzte 276_Milliarden Dollar. Investitionen, die sich à la longue doch lohnen: Immerhin zeichnen 11,5 Prozent der Weltbevölkerung für rund 60 Prozent der weltweiten Ausgaben für privaten Konsum verantwortlich.
Natürlich begann der Trend zum Jugendkult schon nach dem Zweiten Weltkrieg. Heute will man das Image von Lässigkeit – wie Jeans und her aushängende Hemden – bis ins „Rentenalter schmuggeln“. Mittlerweile genügt es nicht mehr, die Alten zu infantilisieren. Ständig müssen neue Gruppen erschlossen werden, schon Kleinkinder sind als kaufkräftige Klientel im Visier des Marktes. Überall werde die Infantilisierung gefördert – auch an den Hochschulen, die zu Wissensfabriken geworden seien, deren Studenten zu unersättlichen Konsumenten.
Auch dies wiederum eine Reaktion auf Stress im Lehrbetrieb und auf die Angst vor einer ungesicherten Zukunft. Kinder wollen „haben“, ohne Rücksicht auf Bedürfnisse anderer – diese Haltung will der Markt für die Alten bewahren: Eingefroren in der Zeit, sollen alternde Erwachsene jugendliche Verbraucher bleiben. Peter Pan ist überall: „Ich will für immer ein kleiner Junge sein und meinen Spaß haben.“
(Sibylle Fritsch/DER STANDARD, ALBUM, 15./16.3.2008)
Benjamin Barber: „Consumed. Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Demokratie untergräbt“. Aus dem Englischen von Friedrich Griese, €_23,60/432 Seiten, Verlag C.H. Beck, München 2008.
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- Aamon
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