Kronen Zeitung hat geschrieben:18 Jahre Bürgermeister
Das soziale Gewissen von Graz: Alfred Stingl tot
Alfred Stingl verstarb am Donnerstag, einen Tag nach seinem 86. Geburtstag.(Bild: Jauschowetz Christian)
Vom Bau des Kunsthauses, der Murinsel, der Stadthalle, des Literaturhauses oder der Helmut-List-Halle, über den Wiederaufbau der Synagoge, die Gründung der FH Joanneum, der Neuausrichtung der Geriatrischen Gesundheitszentren bis hin zu den Vorbereitungen für das Kulturhauptstadtjahr 2003 – auch die Erklärung der Grazer Altstadt zum Unesco-Weltkulturerbe im Jahr 1999 und dass die Murmetropole 2001 zur ersten Menschenrechtsstadt Europas gekürt wurde, fiel in die Amtszeit von Alfred Stingl.
Der gelernte Schriftsetzer, der im Mai seinen 86. Geburtstag gefeiert hätte, hinterlässt der Landeshauptstadt also zweifellos ein großes Erbe. Doch waren es vielmehr seine Taten und Worte, die sich in die Köpfe und vor allem Herzen von vielen Grazern gebrannt haben. Während heute sich viele Politiker aller Couleur den Vorwurf gefallen lassen müssen, mit den „normalen“ Menschen zu fremdeln, waren Stingl Berührungsängste von jeher fremd.
Mehr als 20 Jahre lang zeichnete er für das Sozialressort im Rathaus verantwortlich. Das Helfen der Schwächeren war ihm über Jahrzehnte hinweg Antrieb und Herzensangelegenheit. Bis es nicht mehr ging, setzte er sich nach seiner Politkarriere etwa als Schirmherr der Aktion „Von Mensch zu Mensch“ der Woche Graz (jetzt Mein Bezirk) für benachteiligte Menschen ein.
Selbst Kreisky holte sich von Stingl einen Korb
Mehrmals ereilte Stingl der Ruf aus Wien – auch Bruno Kreisky wollte den über alle Parteigrenzen hinaus hochgeschätzten Grazer in die Bundespolitik holen. Doch der blieb seiner Heimatstadt stets treu: „Es wäre sehr ehrenvoll gewesen, aber etwas kommunalpolitisch zu bewirken ist schöner und befriedigender“, sagte er einmal.
Biografie
Alfred Stingl wurde am 28. Mai 1939 in Graz geboren. Aufgewachsen im „Glasscherbenviertel“, wie er es selbst bezeichnete, unweit des Hauptbahnhofs, erlernte er nach Abschluss der Hauptschule Fröbel den Beruf des Schriftsetzers bei der Leykam. Früh engagierte er sich dort in der Gewerkschaft.
1968 wurde Stingl für die SPÖ Gemeinderat, 1973 Stadtrat. Von 1982 bis 1985 war er Vizebürgermeister und ab 10. Jänner 1985 Bürgermeister der Landeshauptstadt. Dieses Amt bekleidete er bis März 2003 und war bis dahin der längstdienende Stadtchef von Graz. Siegfried Nagl hat ihn 18 Jahre später als Rekordhalter abgelöst.
Stingl war Ehrenmitglied des Städtebunds, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Natur- und Umweltschutz, Ehrensenator der Uni und TU Graz.
Er war 60 Jahre mit Elli verheiratet – Stingl hinterlässt einen Sohn und eine Tochter.
Eine seiner bittersten Stunden war wohl die Gemeinderatswahl 1998, als die SPÖ auf damals unvorstellbare 30,9 Prozent abstürzte, Stingl blieb zwar Bürgermeister, legte aber den Parteivorsitz zurück. Fünf Jahre später war die ÖVP an der Macht. Dass seine Sozialdemokraten bei der letzten Wahl nicht einmal 10 Prozent erreichten, war für Stingl ein Schlag in die Magengrube und ließ ihn fassungslos zurück.
„Du bist der Erfinder der Nächstenliebe“
Über all die Jahre blieb er aber für viele Grazer in der Straßenbahn oder beim Stadtbummel der „Herr Bürgermeister“. Das vielleicht treffendste Zitat dazu stammt von seinem Enkel Max anlässlich der Feierlichkeiten zu seinem 80. Geburtstag: „Du bist der Erfinder der Nächstenliebe.“
Am 29. Mai 2025, einne Tag nach seinem 86. Geburtstag, hat der große Steirer nach schwerer Krankheit für immer seine Augen geschlossen. Es mag vielleicht trösten, dass er nun mit seiner geliebten Gattin Elli, die er nach ihrem Schlaganfall jahrelang und aufopferungsvoll pflegte, wieder vereint ist – denn so es ihn tatsächlich gibt, ist für Alfred Stingl zweifellos ein Ehrenplatz im Himmel reserviert.
R.I.P