Atheismus Chat Protokoll

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Aamon
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Beitrag von Aamon »

(Chatprotokoll eines Chats auf Spiegel.de)

Chat über Gott und die Welt - Diskutieren Sie mit Atheist Michael Schmidt-Salomon!


Moderator Dominik Baur: Unvernunft, Intoleranz und Fundamentalismus: Für viele Menschen ist die Religion die Wurzel allen Übels. Eine zunehmende Zahl von Nichtgläubigen will diesen vermeintlichen Frontalangriff auf die Vernunft nicht weiter hinnehmen. Sie organisieren sich, prangern den großen Einfluss der Kirchen in der Gesellschaft an – und suchen selbst mehr Gehör. Für diesen neuen Atheismus steht die Giordano-Bruno-Stiftung für evolutionären Humanismus.

Moderator Dominik Baur: Liebe Leser, ich begrüße Sie herzlich zu diesem Chat. Mit Michael Schmidt-Salomon steht uns heute ein berufener Experte zum Thema der SPIEGEL-Titel-Geschichte zur Verfügung: Ist Gott an allem Schuld? Schmidt-Salomon ist bekennender Atheist, steht der Giordano-Bruno-Stiftung vor und hat das Buch \"Manifest des evolutionären Humanismus \" geschrieben.


Moderator Dominik Baur: Zunächst wie immer zwei technische Hinweise: Bitte beachten Sie, dass dies ein moderierter Chat ist. Das heißt: Die Fragen müssen von uns freigeschaltet werden. Leider ist es unvermeidlich, dass innerhalb einer Stunde nur ein Teil der Fragen zum Zug kommt. Wir bitten dafür um Verständnis. Wir werden uns allerdings bemühen, unserem Chatgast ein möglich breites Spektrum an Leserfragen zu präsentieren.
Moderator Dominik Baur: Wir müssen leider auch darauf hinweisen, dass wir nicht wissen, wie hoch das Interesse ist, welcher dieser Chat hervorruft. Wir können daher die Gefahr nicht ganz ausschließen, dass es zu technischen Problemen kommt. Sollte sich der Chat verlangsamen oder es Ihnen zeitweise nicht möglich sein, Fragen zu posten, bitten wir um ein wenig Geduld.


Moderator Dominik Baur: Und damit begrüße ich nun unseren Gast: Guten Tag, Herr Schmidt-Salomon!


Michael Schmidt-Salomon: Guten Tag!


Moderator Dominik Baur: Stellen Sie nun bitte Ihre Fragen an Herrn Schmidt-Salomon! Vergessen Sie bitte nicht, Ihren eigenen Namen vor die Frage zu schreiben.


> Anonymus: Glauben Sie ernsthaft, dass überzeugte Christen wie Mutter Theresa, Dietrich Bonhoeffer, Albert Schweitzer, Gustav Heinemann oder Johannes Rau und deren Anhänger gefährlicher sind als die berühmten Atheisten Hitler, Stalin, Mao, Chauchesku, Fidel Castro, Erich Honecker usw.?


Michael Schmidt-Salomon: Zunächst einmal muss man feststellen, dass Hitler kein Atheist war.

Michael Schmidt-Salomon: In \"Mein Kampf\" schreibt er ausdrücklich, dass er imn Autrag des Schöpfers handle. Die deutschen soldaten zogen mit dem Spruch \"Gott mit uns\" auf dem koppelschloss in die Schlacht.
Michael Schmidt-Salomon: Bei den erwähnten Christen muss man unterscheiden, wie sie den christlichen Glauben interpretieren. Insgesamt denke ich, ist die Unterscheidung zwischen Religion und philosophischem Denken wichtiger als die Differenz zwischen Theismus und Atheismus.


> Sr.Paula: Ist diese Form des Zusammenschlusses nicht eine Form der Intoleranz, durch die Sie die Religionen - gleich welche - nicht akzeptieren? Wie stellen Sie sich eine Gesellschaft ohne Kirche vor?


Michael Schmidt-Salomon: Toleranz ist ein wichtiger Aspekt moderner Gesellschaft. Toleranz setzt aber auch gesellschaftliche Auseinandersetzung voraus. Diese gesellschaftlichen Auseinandersetzungen sollten auf theoretischer Eben ausgetragen werden, nicht mit Waffen.
Michael Schmidt-Salomon: Wir setzen uns dafür ein, dass wir künftig falsche Ideen sterben lassen, bevor Menschen für falsche Ideen sterben müssen.
Michael Schmidt-Salomon: Gesellschaften ohne christliche Kirchen gab es bereits. Die moderne Demokratie verdanken wir nicht dem Christentum, sondern dem heidnischen Griechenland.


> Benjamin Krohn: Warum soll ich an die Vernuft GLAUBEN? Das ist doch genauso eine verkappte Religion, wo ich auf etwas vertraue, das ich nicht wirklich weiss.
Michael Schmidt-Salomon: Man muss beim begriff Glaube unterscheiden. Glauben kann soviel bedeuten wie vermuten. Dagegen haben wir nichts einzuwenden. Glaube kann aber auch gemeint sein im Sinne eines unbedingten Glaubens für eine Geisteshaltung, die das geglaubte für unbedingt wahr hält.


Michael Schmidt-Salomon: Diese irrationale Form des Glaubens ist mit einem modernen aufgeklärten Denken nicht vereinbar.
Michael Schmidt-Salomon: Wissenschaftliches Wissen ist religiösem Glauben gerade deshalb überlegen, weil es um die eigene beschränktheit weiß. Während Wissenschaftler wissen, dass sie nur etwas \"glauben\", was heute angemessen erscheint, morgen aber möglicherweise schon überholt ist, glauben Gläubige, etwas zu wissen, was auch morgen noch gültig sein soll, obwohl es in der Regel schon heute widerlegt ist.


> Stephan: Sind Sie der Meinung, dass man Gläubige durch Argumente von ihrem Glauben (zu dem sie ja i.d.R. nicht durch Argumente gekommen sind) abbringen kann?
Michael Schmidt-Salomon: Das ist eine sehr gute Frage. Das Problem ist, dass die meisten Gläubigen mit dem Glauben schon zu einem zeitpunkt in irhem Leben konfrontiert werden, an dem sie die Glaubensinhalte nicht kritisch überprüfen können.
Michael Schmidt-Salomon: Darauf hat schon Sigmund Freud hingewiesen. Insofern ist der biblische Spruch \"Lasset die Kinder zu mir kommen\" durchaus bedenklich.


> Marius Goppelt: glauben sie nicht, dass Unvernunft ein fester Bestandteil menschlicher Kultur ist? Kann man überhaupt Glauben durch Nicht-Glauben ersetzen, oder wird der Atheismus dann selbst zur Religion?
Michael Schmidt-Salomon: Es ist eine Frage des Trainings. Wir müssen lernen, dass wir nur Hypothesen bilden können über den zustand der Welt, und dass diese Hypothesen jederzeit verbessert werden müssen. Zu einem solch kritisch-rationalen Denken werden die Menschen in der Regel nicht erzogen.


Michael Schmidt-Salomon: Vorausgesetzt es gelänge, kritisch-rationales Denken stärker in den Bildungssystemen zu verankern, könnte sich die kritische Vernunft auch im weltanschaulichen Bereich besser durchsetzen.
> Volker Bethge: Ein alter Streit wird auf ziemlich niedrigen Niveau neu entfacht. Warum so eifernd und missionarisch - und damit ziemlich unvernünftig. Das ist ja auch der Vorwurf an die Gegenseite. Sind wir nicht bereits weiter? Das Verhältnis von Naturwissenschaft und Glauben komplementär zu begreifen?


Michael Schmidt-Salomon: Es gab einen Nichtangriffspakt zwischen Wissenschaft und Religion.

Michael Schmidt-Salomon: Und es stimmt, dass dieser Nichtangriffspakt von beiden Seiten aufgekündigt wurde. aus unserer Perspektive sind Glaube und Wissenschaft nicht komplementär, niemals zuvor war die Unvereinbarkeit von wissenschaft und Glaube so deutlich wie in unserer Zeit.


> Eric Stoltz: Herr Schmidt-Salomon, denken Sie, dass der Islam die Gesellschaften in den islamischen Ländern vor dem Fortschritt in verschiedenen Bereichen abhält?
Michael Schmidt-Salomon: Selbstverständlich. Die Phasen, in denen die Gebiete unter muslimischer Herrschaft größere Toleranz walten ließen, waren die Zeiten einer blühenden Kultur.
Michael Schmidt-Salomon: Im 9. und 10. Jahrhundert waren diese Regionen Europa sowohl in technischer wie ethischer Hinsicht überlegen. Leider wurden diese ansätze zu einer islamkritischen Aufklärung in den muslimischen Ländern nach den Erfahrungen der Kreuzzüge brutal unterdrückt.


Michael Schmidt-Salomon: Hier spiegelt sich ein Prozess wieder, der auch für Europa gültig war. Es bedurfte schon der Renaissance, einer Zeit der Wiederentdeckung antiker Texte, um die kulturelle Evolution voranzubringen.
Michael Schmidt-Salomon: Die tausend Jahre, in denen das christentum allein tonangebend waren, zählen zu den rückschrittlichsten epochen unserer Geschichte.


Michael Schmidt-Salomon: Insofern lässt sich das Christentum sehr wohl mit dem Islam in dieser Hinsicht vergleichen.
> Thomas Brock: Warum gibt es in der heutigen Zeit so viele intelligente und gebildete Menschen, die sich von Religionen vereinnahmen lassen? Müsste nicht zum Beispiel Joseph Ratzinger spätestens im Laufe seiner Karriere Zweifel bekommen haben?
Michael Schmidt-Salomon: Ja, Intelligenz und Bildung schützen nicht vor Wahrnehmungsverzerrungen. Es gibt so etwas wie eine intellektuelle Schizophrenie.
Michael Schmidt-Salomon: Pathologen, die an die Auferstehung der Toten glauben oder Gynäkologen, die an die jungfräuliche Geburt glauben.
Michael Schmidt-Salomon: Offenbar ist es möglich, dass siech eine intellektuelle Entwicklung nur auf bestimmte kognitive Bereiche begrenzt, während auf anderen Gebieten die intellektuelle entwicklung auf einem kindlichen Niveau stehen bleibt.


> Gian Snozzi: Sie sagen \"Wir wollen künftig falsche Ideen sterben lassen, bevor Menschen für falsche Ideen sterben\". Wie wollen Sie \"falsche Ideen\" identifizieren. Selbst die Wissenschaft (Vernunft) ist sich bei vielen Dingen nicht einig. Die Wissenschaft lebt geradezu davon ihre Ideen/Theorien immer wieder zu falsifizieren.
Michael Schmidt-Salomon: Das ist richtig. Deswegen sollte dieser Streit der Konzepote auf einer theoretischen ebene ausgetragen werden. Wir müssen nicht mehr wie die Kirche im Falle Giodano Brunos die Träger der Ideen umbringen, es reicht aus, falsifizierte Thesen zu eleminieren.
Michael Schmidt-Salomon: Das ist die Grundlage der modernen Streitkultur der Aufklärung.
> Markus: Herr Salomon, Sie tragen einen biblischen Namen, den eines weisen Königs. Sind Sie sicher dass es keine bewusste Intelligenz außerhalb von (neurologischer) Materie gibt?
Michael Schmidt-Salomon: Ich glaube nicht dogmatisch an die Nicht-Existenz Gottes. gott ist aber eine unelegante Hypothese, die nach dem Prinzip von Ockhems Rasiermesser überflüssig oder schädlich ist.
> Christoph Archibald: Ist der Glaube an Gott nicht einfach ein Ausdruck der Tatsache, dass Menschen ihre Endlichkeit nicht akzeptieren wollen?
Michael Schmidt-Salomon: Richtig, das ist ein wesentlicher Aspekt, wenn auch nicht der einzige.


Michael Schmidt-Salomon: Dennoch denke ich, dass der Stein der Weisen der Grabstein ist. Wir dürfen uns nciht weglügen aus der Wirklichkeit, sondern sollten uns mit unserer Endlichkeit konfrontieren, und dieses eine Leben, das uns zur Verfügung steht, als kostbares Gut wertschätzen.
> Jan Hester: Warum glauben Sie, werden bestehende Religionsprivilegien so selten thematisert und die Subventionierung der Kirchen weitgehend verschwiegen? Was sollte sich ändern - und wie könnte dabei vorgegangen werden?


Michael Schmidt-Salomon: Es ist richtig, die Kirchen erhalten jährlich milliardenbeträge als Subventionen vom Staat. Die meisten Bürger wissen nicht, dass etwa das Gehalt von Bischof Mixa nicht aus dem Topf der Kirchensteuereinnahmen finanziert wird, sondern aus allgemeinen Steuermitteln. Jede Konfessionslose, aber auch jeder Muslim trägt mit seinen Steuerabgaben dazu bei, dass die Bischöfe beider christlichen Kirchen ihr nicht gerade geringes Einkommen erhalten.
Michael Schmidt-Salomon: Was kann man dagegen tun? Ich denke, man muss in erster Linie Aufklärungsarbeit betreiben und die Menschen über diese ungerechtfertigte Priveligierung der Großkirchen informieren.
Michael Schmidt-Salomon: Das ist nicht leicht angesichts der Machtverhältnisse aber wir versuchen unser Bestes.
> Lars Jonuscheit: Als Atheist würde ich gern wissen ob Sie sich gegen die Religion als Idee oder gegen ihre selbsternannten Institutionen richten?
Michael Schmidt-Salomon: Das sind zwei verschiedene ebenen. Als Philosoph wende ich mich gegen die religiösen aussagensysteme, weil sie keinen Wahrheitskriterien standhalten und immer wieder ethisch verheerende Folgen hatten.
Michael Schmidt-Salomon: Als sozialpolitisch denkender Mensch wehre ich mich gegen die Übermacht religiöser Institutionen, die sich vor allem im Sozialsektor zeigt.


Michael Schmidt-Salomon: Caritas und Diakonie sind die größten nichtstaatlichen Arbeitgeber Europas. Konfessionslose, die im sozial-medizinischen bereich arbeiten wollen, fühlen sich häufig gezwungen, in die Kirche einzutreten, um sich einen Arbeitsplatz zu sichern.
Michael Schmidt-Salomon: Dies halte ich für verfassungsrechtlich bedenklich.
> Moritz Maurer: Können Sie eine kurze Definition der postchristlichen Ethik geben?
Michael Schmidt-Salomon: Sei dir deiner Sache nicht allzu sicher, zweifle aber auch am Zweifel.
Michael Schmidt-Salomon: habe keine angst vor Autoritäten, sondern den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.
Michael Schmidt-Salomon: Genieße dein Leben, denn dir ist höchstwahrscheinlich nur dieses eine gegeben.
Michael Schmidt-Salomon: Helfe mit, die Welt zu einem besseren, lebenswerteren Ort zu machen.
> Jan Bender: Welchen Halt im Leben haben Sie als Atheist?
Michael Schmidt-Salomon: Mitmenschen, Wärme, Vernunft, Wissenschaft, Kunst, Philosophie. Wer Wissenschaft, philosophie und Kunst besitzt, braucht keine Religion.
> Dominik Hase: Herr Schmidt-Salomon, halten Sie es nicht für gefährlich, die Kirchen erst recht zu mehr Einflussnahme auf das gesellschaftliche Leben zu motivieren, indem man ihnen eine atheistische Alternativorganisation entgegenstellt?
Michael Schmidt-Salomon: Viel mehr Einfluss, als sie gegenwärtig haben, können die Kirchen kaum in Deutschland bekommen. Denn obwohl die Menschen in Deutschland in der Regel sehr säkular denken, haben die Kirchen aufgrund der Mitgliedszahlen enorme gesellschaftliche Macht. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die Aufklärung sich nur durchsetzen konnte, weil es Denker gab, die sich sehr entschieden gegen die Religion gewandt haben.


> Robert Groenewold: Ich bin der Meinung, dass das ganze Elend monotheistischer Religionen daraus erwächst, dass man \"Glauben\" zu einer Tugend gemacht hat. Früher wurde man für seinen vermeintlichen oder tatsächlichen \"Unglauben\" gefoltert und sogar umgebracht, heutzutage muss sich ein Politiker noch immer dafür rechtfertigen, wenn er *nicht* \"So wahr mir Gott helfe!\" bei seiner Vereidigung sagt und eine Mehrheit der US-Amerikaner würde sogar einen homosexuellen aber gläubigen Präsidenten einem heterosexullen aber atheistischen Präsidenten vorziehen. \"Unglaube\" gilt noch immer irgendwie als \"unanständig\" und \"anrüchig\", dabei sollte doch das Streben nach Wissen und eigenständigem Denken als Tugend gelten. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum sich derjenige, der *nicht* glaubt, rechtfertigen muss, nicht aber derjenige, der glaubt?


Michael Schmidt-Salomon: Das Fehlen starker nichtreligiöser Kräfte führt dazu, dass auch der innerreligiöse Reformprozess nicht voran kommt. Das lässt sich leicht am Islam demonstrieren.
Michael Schmidt-Salomon: Die Gottesstrategie der aufklärung - scharfe Kritik von außen und sanftere Form im Innneren der Religion - hat das europäische christentum, wie es sich jetzt darstellt, erst möglich gemacht. Ohne Nietzsche, Feuerbach und Marx gäbe es keinen Küng, Drewermann oder Alt.
> Jens Feigel: Ich habe erlebt, dass Jesus mich geheilt hat von Depressionen und Zwängen, dass er mein Leben lebenswert gemacht hat. Das können auch Sie mir nicht wegdiskutieren. Ich habe in Seelsorge schon viele verletzte Menschen erlebt, die durch falsche Bilder von Gott verletzt wurden. Was gab Ihnen den Ausschlag, dass Sie Gott wegdiskutieren wollen?
Michael Schmidt-Salomon: Den Ausschlag gaben vernünftige Gegenargumente und empirische Belege. Ich will die Placebofunktion eines religiösen Glaubens nicht wegdiskutieren, aber dies ist kein beleg für die Existenz Gottes, noch ist dies ein Beleg dafür dass solche Lebenskrisen nicht genauso gut auch ohne Zuhilfenahme religiöser Prothesen bewältigt werden können.


> Weber: Wie stehen Sie zu dem Weihnachtsmann oder dem Osterhasen, bzw. ihrer Rolle in der Entwicklung eines Kindes?
Michael Schmidt-Salomon: Ich denke, es würde einem Kind nicht schaden, wenn statt des Weihnachtsmannes das Spaghettimonster die Gaben bringen würde. Kluge Kinder durchschauen das Spiel ohnehin sehr früh.
> Jan Hester: Würden sie so weit gehen konfessionellen Religionsunterricht in öffentlichen Schulen als Indoktrinationsversuch zu bezeichnen? Warum werden Kinder nach der Konfession ihrer Eltern in unterschiedlichen Gruppen unterrichtet? Was sollte sich ändern?


Michael Schmidt-Salomon: Wir brauchen einen integrativen Ethik- und Religionskundeunterricht. Wenn Klein-Memet von den Muslimen, Klein-Erna von den Zeugen Jehovas und Klein-Philipp von der katholischen Kirch unterrichtet wird, erzeugt das nicht weltanschauliche Vielfalt, sondern potenzierte Einfalt. Wir sollten der religiöse Ghettoisierung der Gesellschaft schon in den Schulen entgegenwirken.
> Karin Böckmann: Kirche ist nicht nur Glaube und Religion, sondern auch ein Teil unserer abendländischen Kultur.
Michael Schmidt-Salomon: Selbstverständlich ist Kirche ein teil der abendländischen kultur. Die Frage ist, ob dies der fruchtbarste Teil der abendländischen Kultur ist. Die Rede von den sog. christlichen WErten zumindest ist eine Mogelpackung.


Michael Schmidt-Salomon: Die menschenrechte entstammen nicht den Religionen, sondern mussten in einem erbitterten Kampf den Religionen abgerungen werden. Der Vatikan konnte sich erst in den sechziger Jahren, nachdem er die Menschenrechte immer in aller Schärfe kritisiert hatte, zu einer halbgaren anerkennung der Menschenrechte durchringen.
Michael Schmidt-Salomon: Heute ist der Vatikan der einzige Staat Europas, der die europäische Menschenrechtskonvention nicht ratifiziert hat.
> Peter: welche \"Strömung\" der Philosophie vertreten Sie, bzw können Sie einige Philosophen nennen, denen sie nahe stehen
Michael Schmidt-Salomon: Ich könnte jetzt ein ganzes Arsenal an Philosophen aufzählen, das würde aber wahrscheinlich den chat sprengen.
> Jan Hester: Warum glauben so viele Menschen Moral käme von Gott - oder zumindest aus einem vermeintlich heiligen Buch? Warum ist beides falsch?
Michael Schmidt-Salomon: In meinem Buch \"Manifest des evolutionären Humanismus\" finden sich aber zahlreiche Literaturangaben.
> Martin Stobbe: Welche Möglichkeiten sehen Sie, dem radikalen Islam das Wasser abzugraben? Gewalt? Bildung? Entwicklungshilfe? Oder beten?
Michael Schmidt-Salomon: Das ist ein sehr komplexes Phänomen. Wir dürfen hierr vor allem auch ökonomische Fragen nicht ausblenden. Bildung ist ein wesentlicher Faktor, in diesem bereich müssen wir uns stärker engagieren.

Michael Schmidt-Salomon: Vor allem müssen wir aber auch zu unseren eigenen Werten stehen, Farbe bekennen, die Aufklärung braucht nicht nur kluge Köpfe, sondern auch die fähigkeit zum aufrechten Gang.
> Johannes Rehborn: Was hat der Vatikan denn bei den Menschenrechten kritisiert?


Michael Schmidt-Salomon: Seit den ersten Erklärungen der Menschenrechte haben Päpste Enzykliken verfasst, in denen die Menschenrechte als anmaßung verurteilt wurden. Nach Auffassung der Päpste sollte sich der Mensch als Sklave gottes verstehen und sich nieht anmaßen, sich selbst aus freien Stücken Rechte und Pflichten zu erteilen.
> Tobias Traut: Wie kommt es, dass Sie der Religion so kritisch gegenüberstehen? Gibt es da bestimmte Erlebnisse oder Erfahrungen?
Michael Schmidt-Salomon: Nein, damit kann ich nicht dienen. Ich bin in einem liberalen katholischen Haushalt aufgewachsen, habe selbst keine negativen erfahrungen mit der Kirche machen müssen, im Gegensatz zu vielen anderen menschen, die sich religionskritisch betätigen.
> Gerd: Müssen wir uns eine Welt ohne Religiöse als eine bessere, befreite Welt vorstellen?


Michael Schmidt-Salomon: Auch ohne Religion würden Menschen versuchen, ihr Glück aus dem Unglück anderer zu ziehen. Aber die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik, hier hatte Marx durchaus Recht. Um die Probleme zu lösen, die uns weltweit belasten, müssen wir zunächst den metaphysischen Nebel lichten, die die religion über die realen Konflikte gelegt hat.
> Max: Wer soll die Seelsorge der einfachen Menschen übernehmen? Jene die sich nicht an Philosophie, Wissenschaft und Kunst festhalten können?
Michael Schmidt-Salomon: Ich halte es für ein elitäres Vorurteil, dass die sog. einfachen menschen Wissenschaft, Philosophie und Kusnt prinzipiell nicht verstehen können. In Wahrheit ist die Evolutionstheorie beispielsweise, sofern sie gut erklärt wird, um vieles einfacher nachzuvollziehen, als die Schöpfungsmythen der Religionen.
Michael Schmidt-Salomon: Bislang fehlen uns nur die Übersetzer. Wissenschaftler müssen die Elfenbeintürme verlassen und ihre Thesen in einem offenen Dialog in die Gesellschaft einbringen.
> Volker Albrecht: Wie viele Atheisten, schätzen Sie, gibt es in Deutschland? Sind nicht vielmehr die Agnostiker in der Mehrzahl bzw. solche Menschen, die sich ihren eigenen Gott zusammengepuzzelt haben?
Michael Schmidt-Salomon: Das ist eine Frage der Definitionen. Ich beispielsweise bin ein agnostischer Atheist.
Michael Schmidt-Salomon: Empirische Daten über Weltanschauungsgruppen in Deutschland gibt es auf dem Portal www.fowid.de Dort gibt es auch ein Datenblatt zur Atheistenquote in Deutschland.
Michael Schmidt-Salomon: Leider habe ich die genaue Prozentzahl nicht im Kopf. Aber es scheint so zu sein, dass die Atheistenquote über der Christenquote liegt, denn nur ein bruchteil der Kirchenmitglieder glaubt an einen persönlichen Gott, die Auferstehung der Toten und ähnliche notwendige Glaubenssätze des Christentums.
> Jonas Steinmetz: Wenn ich mein Leben, wie Sie sagen, genießen soll, welchen Grund hätte ich also, mich zum Beispiel für den Klimaschutz oder andere nachhaltige Projekte einzusetzen?
Michael Schmidt-Salomon: Ich hatte geschrieben, dass wir uns an dem Projekt beteiligen sollten, die Welt zu einem besseren, lebenswerteren Ort zu machen. Eine solche Haltung ist nicht nur ethisch vernünftig, sondern auch das beste Rezept für eine sinnerfüllte Existenz.
Michael Schmidt-Salomon: Es scheint so, dass Altruisten die clevereren Egoisten sind, denn die größte Erfüllung unseres Eigennutzes liegt in seiner Ausdehnung auf andere.


> Ottfried: Wie ist nach Ihrer Meinung das Universum entstanden und warum hat alles > bevor das technische Zeitalter begann, alles reibungslos miteinander funktioniert. Die Wissenschaft weiss bis heute nur einen sehr geringen Teil, wie die Welt enstand/funktioniert, war das alles Zufall und warum funktioniert es heute nicht zufällig weiter?
Michael Schmidt-Salomon: Die Macht des Zufalls ist heute ebenso gegenwärtig wie zuvor. Wir neigen nur dazu, zufällige Geschehnisse mit der Illusion eines höheren sinns zu verknüofen. Wenn wir die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung berücksichtigen, dann ist klar, dass homo sapiens nicht die Krönung einer gutgemeinten gut gemachten Schöpfung ist, sondern ein vorübergehendes bedeutungsloses Randphänomen eines sinnleeren Universums.
Michael Schmidt-Salomon: Das klingt vielleicht trostlos, enthält aber auch eine frohe Botschaft: wenn es den Sinn an sich nicht gibt, sind wir dazu ermächtigt, den Sinn aus uns selbst zu schöpfen.
> Marius Herr: Was sagen sie zu dem Zitat von Nitzsche \"Gott ist tot, und wir haben ihn umgebracht!\"?
Michael Schmidt-Salomon: Das war wohl eine allzu voreilige Diagnose. Aber ich habe einen Roman geschrieben, in dem Nietzsche diese Behauptung verifiziert.


Moderator Dominik Baur: Liebe Leser, die Zeit ist um. Wir bedauern, dass wir wie immer nur einen Teil Ihrer Fragen berücksichtigen konnten. Ich hoffe, Sie fanden es dennoch genauso interessant wie wir. Wir bedanken uns bei Herrn Schmidt-Salomon für seine pointierten Antworten.
Michael Schmidt-Salomon: Ich bedanke mich auch und möchte mich auch für die Fragen bedanken und den Mitchattern ein Bonmot von dem Kabarettisten Jürgen Becker mit auf den Weg geben. Er sagte: \"Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Philosophie ist, wenn man trotzdem denkt. Und Religion ist, wenn man trotzdem stirbt.\"
Moderator Dominik Baur: Und vor allem bedanken wir uns natürlich bei Ihnen allen. Schön, dass Sie dabei waren; schauen Sie auch beim nächsten Chat wieder vorbei! Wir wünschen noch einen angenehmen Tag. Auf Wiederlesen!


> Glenn Gould: Worin unterscheidet sich Ihr Ansatz der Wahrnehmung des menschlichen Wesens (Geistes) von dem philosophisch-fundamentaltheologischen eines Karl Rahner? Können Sie Ihre Position mit dem Gültigkeitsanspruch versehen, den Sie dem \"Glauben\" versagen? (Griechenland dürfen Sie nur aus christlicher Perspektive heidnisch nennen!)

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Aamon
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Beitrag von Aamon »

Kreuz und Quer
gestern.

Intelligent Design Reportage, danach Diskussion mit Schönborn, einem evangelischen Theologen, einem Evolutionsforscher und einem Verhaltensbiologen.
Im Prinzip nix neues. Klarerweise nur midleidiges Lächeln der beiden Wissenschaftler.
Es hat wieder mal schön aufgezeigt, wie verbohrt die beiden theologen gerade bei der entscheidenden Frage agieren. Klar weiss man exakt, worauf diese rauswollen, aber eine Diskussion bringt derartig einfach nichts. Schönborn war zumindest net unsymphatisch und versuchte klarerweise, Schranken abzubauen, gebracht hats aber trotzdem nix.. auch klar
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Aamon
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Beitrag von Aamon »

http://www.atheismus.lo.to

gefällt mir inhaltlich schon mal....
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